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Kein Schiller-Schädel in Fürstengruft

Von Antje Lauschner 04.05.2008, 10:06

Weimar/dpa. - Der Sarkophag von Friedrich Schiller (1759-1805) in der Weimarer Fürstengruft ist künftig leer. Schädel und Skelett gehören nicht dem Dichter.

180 Jahre lang galt der Schädel als der echte Totenkopf Schillers. Nun hat ein internationales Forscherteam eines der größten Rätsel in der Stadt der deutschen Klassik gelöst. «Wir haben die Wahrheit herausgefunden», sagte der Präsident der Klassik Stiftung Weimar, Hellmut Seemann, dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Stiftungssprecherin Julia Glesner sagte der Deutschen Presse Agentur dpa: «Die DNA-Analyse hat zweifelsfrei geklärt, dass es sich nicht um den Schädel des Dichters handelt.» Das Erbgut des vermeintlichen Schiller-Schädels war mit der DNA der engsten Verwandten des Dichters verglichen worden.

Die Klassik Stiftung stand nun vor dem Problem, wie sie damit umgeht, dass im Sarg nicht der Kopf des genialen Denkers liegt, sondern der eines Unbekannten. Sie hat sich für die Wahrheit entschieden. Man könne nicht «jährlich 60 000 Menschen in der Fürstengruft vor einen Gegenstand treten lassen, der nichts mit Schiller zu tun hat», sagte Seemann am Samstagabend im MDR Fernsehen zur Ausstrahlung der 90-minütigen Dokumentation «Der Friedrich-Schiller-Code». Die Klassik Stiftung und das MDR-Landesfunkhaus Thüringen hatten das interdisziplinäre Wissenschaftsprojekt im Oktober 2006 begonnen.

Es hatte zuvor auch kritische Stimmen gegeben, die gewarnt hatten, die Totenruhe des in Weimar gestorbenen Dichters nochmals zu stören. Die Aura des Geheimnisvollen müsse nicht unbedingt neuen wissenschaftlichen Methoden geopfert werden, hieß es. Zumal es kurz zuvor in Österreich nach vergleichenden DNA-Untersuchungen mit dem fast als Reliquie angebeteten angeblichen Schädel von Wolfgang Amadeus Mozart eine herbe Enttäuschung gegeben hatte: Die Frage der Echtheit war nicht zu klären. Jetzt ist auch Weimar um eine Illusion ärmer. Der MDR hatte die aufwendigen DNA-Analysen in Auftrag gegeben, die von renommierten Instituten in Jena, Innsbruck und in den USA vorgenommen wurden. Das am Samstag verkündete Ergebnis: «Demnach stammt die DNA vom Schädel aus dem Sarkophag der Fürstengruft weder in der weiblichen noch in der männlichen Linie der Schiller-Familie mit den Vergleichspersonen überein.»

Friedrich Schiller war 1805 zunächst im Weimarer Kassengewölbe in einem Massengrab für angesehene Persönlichkeiten bestattet worden, die kein Familiengrab hatten. 21 Jahre nach seinem Tod wurde der Versuch unternommen, unter der Vielzahl von Toten die sterblichen Überreste des Dichters von «Wilhelm Tell» und «Die Räuber» zu bergen. In dem Gewölbe herrschte ein «Chaos von Moder und Fäulnis» bemerkte Bürgermeister Carl Leberecht Schwabe nach seinen Bemühungen, die Gebeine Schillers anhand der Totenmaske zu identifizieren. Im September 1827 wurden sie in der neuen Fürstengruft neben den Angehörigen der Herzogfamilie beigesetzt. 1832 folgte sein Dichterfreund Johann Wolfgang Goethe.

Fast 100 Jahre später, im Jahr 1911, wurde im Kassengewölbe ein zweiter Schädel geborgen und Schiller zugeordnet. Seitdem hat die Frage um die Echtheit der Schädel den Streit unter Wissenschaftlern immer wieder neu aufflammen lassen. Die jetzige DNA-Analyse brachte allerdings einen kleinen Erfolg. Der zweite Schädel gehörte einer Frau. Nach Ansicht des Forscherteams wahrscheinlich Luise von Göchhausen, der Hofdame von Herzogin Anna Amalia. Der verwachsenen und blitzgescheiten Göchhausen verdankt die Literatur den Erhalt von Goethes «Urfaust». Bei den Untersuchungen stießen die Forscher noch auf einen dritten Schädel. Dieser konnte als der von Ernst August von Sachsen-Weimar-Eisenach identifiziert werden.

Der Berliner Anthropologe Herbert Ullrich hatte 1959 den im Sarg liegenden Schädel als echt benannt. Zwei Jahre später kam der Moskauer Anthropologe und Archäologe Mikail Gerassimov nach einer Gesichtsrekonstruktion zu dem gleichen Schluss. Mit ihren damaligen Möglichkeiten lagen sie gar nicht so falsch. Auch das heutige Forscherteam ging zuerst von der Echtheit des Schiller-Schädels im Sarkophag aus - zu groß waren die Übereinstimmungen des Kopfes mit Totenmaske, Gemälden und Büsten. «Ist hier ein wirklicher Doppelgänger im Spiel?», lautete eine ihrer unbeantworteten Fragen. Untersucht wurden jetzt neben den beiden vermeintlichen Schiller-Schädeln unter anderem DNA-Material der in Meiningen beerdigten älteren Schwester sowie Schillers ältesten Sohnes Carl und seines Enkels Friedrich in Stuttgart.

Eine Absage hatten die Klassik Stiftung und der MDR in Gerlingen (Baden-Württemberg) erhalten, wo Schillers jüngste Schwester und sein Vater liegen. Pfarrer Wilfried Braun hatte das Nein zur Exhumierung damit begründet, dass die Totenruhe höher zu bewerten sei als wissenschaftliche Zwecke. Hellmut Seemann hatte 2006 zum Auftakt noch scherzhaft erklärt: «Der unangenehmste Fall wäre es, wenn beide Schädel von Schiller stammen. Es ist aber ein Unterschied, ob man etwas nicht wissen kann, oder ob man es nicht klären möchte.» Schließlich ginge es nicht um einen religiösen Gegenstand, sondern um Körper und Schädel eines der bedeutendsten Dichter der deutschen Sprache.

Dem MDR in Thüringen sagte Stiftungspräsident Seemann, er vermute jetzt, dass sich die sterblichen Überreste von Schiller auf dem Jacobsfriedhof in Weimar befinden könnten, wo der Dichter 1805 im Kassengewölbe beigesetzt worden war. Dort nach dem echten Schiller- Schädel zu suchen, halte er für möglich. Allerdings würde er einem solchen Projekt «nicht die Hand reichen».