Katja Riemann Katja Riemann: Lust auf eigene Stimme

Berlin/MZ. - Zunächst fängt man sich zuverlässig in den eigenen Klischees: Mit Handy am Ohr, der getönten Brille im Haar und ihrem Kind an der Seite läuft sie geschäftig durch den Charlottenburger Alltag, der hinter großen Fenstern leinwandflach vergeht. Gleich wird sie mit der freien Hand den Blick verschatten, um aus der Nachmittagssonne besser in das Halbdunkel des Restaurants blicken zu können. Dann wird sie deinen Gruß bemerken und zurückwinken. Und dann tritt Katja Riemann aus dem Bild, das man sich zurechtgelegt hat, in die Wirklichkeit.
Sie bestellt grünen Tee mit Honig, ein Lachsbrötchen für Paula und Bierdeckel gegen den kippelnden Tisch. In einer Stunde hat sie ihren nächsten Termin mit den Leuten von Unicef. Bleiben knapp 60 Minuten für ein Gespräch über ihr Werden, ihr Leben - ihre Musik. Was wollen Sie wissen? "Nachtblende" hieß das Album, mit dem die Musikerin vor zweieinhalb Jahren Ernst machte: Nachdem sie bereits wesentlichen Anteil am Soundtrack zu Katja von Garniers "Bandits" gehabt hatte, sang sie sich mit eigenen Liedern endgültig frei. Dabei habe sie gelernt, "auf mich selbst zu hören" - und Lust auf die Arbeit in einer Band bekommen, die nun als "Katja Riemann Oktett" in Halle zu hören sein wird.
Der Umweg über das Studio spiegelt im übrigen den zweiten, bekannteren Teil jener Karriere, die nach sieben Theater-Jahren im deutschen Film der 90er Jahre durchstartete und erst relativ spät zu dankbaren Bühnen-Rollen wie derzeit in "Damen der Gesellschaft" am Maxim-Gorki-Theater zurückführte. Dass sie das Metier im Unterschied zu manchem Shooting-Star der Gegenwart auf der Schauspielschule gelernt hat, ist Katja Riemann wichtig. Ebenso wie ihre Prägung durch das musikalische "Woodstock-Flower-Power" der 70er Jahre, mit dem die 1963 geborene Katja Hannchen Leni als jüngstes von drei Kindern in einem norddeutschen Lehrer-Haushalt aufwuchs. Diese Herkunft begründet auch die Lust am Live-Auftritt - und das Erschrecken über jene Produzenten, die Konzerte nur als werbendes Beiwerk zur CD verstehen.
"Eine Platte für Rotweintrinker" sollte sie nach Ansicht eines solchen Musik-Maklers vor dem Tour-Start auf den Markt werfen, erzählt Katja Riemann - und sendet ein Lachen hinterher, mit dem sie solche Zumutungen erträgt. Sie mag sich diesen Markt-Forderungen nicht beugen - und wird demnächst ihre eigenen "Favourites" mit dem Oktett veröffentlichen, dessen Mitglieder - "drei Frauen und fünf Jungs" - "in der Oberliga der Berliner Jazzszene" zuhause sind.
Falls sie neben den Konzerten mal wieder mehr Zeit hat, will sie danach auch einen neuen Verlag für ihre Kinder-Geschichten über Sonne, Mond und Sterne suchen, die sie für Paula geschrieben hat und deren erste Auflage leider in einem ambitionierten Konkurs-Unternehmen versenkt wurde. Zunächst aber kommt am 18. September Margarethe von Trottas Film "Rosenstraße" in die Kinos, der vom authentischen Schicksal jener Frauen erzählt, die im Berlin des Jahres 1943 um das Leben ihrer jüdischen Männer kämpften. Katja Riemann, die zuletzt häufiger in Kanada, Frankreich und Italien gedreht hat, spielt darin eine Musikerin. Und bekommt noch beim Erzählen eine Gänsehaut - eben weil sie den Schauplatz Berlin besonders als Ort einer kreativen Gemeinschaft in den Jahren vor der Nazi-Zeit so liebt. Die Zeit ist um. In wenigen Stunden wird es im Fernsehen einmal mehr die Riemann-Komödie "Stadtgespräch" geben. Das ist wieder die andere Welt. In der Wirklichkeit aber ist die rosa getönte Brille nur Beiwerk, kein Mittel zur Weltanschauung.
Das Katja Riemann Oktett spielt am Sonntag um 20 Uhr zum Abschluss des Jazzfestivals in der Moritzburg Halle.