Kassel Kassel: Erster deutscher fester Theaterbau wird 400 Jahre
Kassel/dpa. - Am Anfang stand ein Teufelchen. Weil der Belzebubbei Theateraufführungen aber nicht einfach aus dem Schlossbodenschießen konnte, wünschte sich Moritz der Gelehrte, Landgraf vonHessen-Kassel, ein Theater. Drei Jahre dauerte es, bis der Bau standund nach dem Lieblingssohn des Grafen benannt wurde: Vor 400 Jahrenwurde mit dem Ottoneum in Kassel der erste, feste Theaterbau einesdeutschen Adeligen eröffnet.
Bis dahin wurden Stücke in Schlössern oder auf Bretterbühnen unterfreiem Himmel aufgeführt. Moritz der Gelehrte jedoch liebte dasTheater und schrieb sogar selbst Stücke. Lange konnte er sich nichtdaran erfreuen. Zuerst starb Sohn Otto, der sich angeblich imFieberwahn selbst erschoss, dann machte der Dreißigjährige Krieg derKulturstätte ein Ende. Als Moritz 1632 kurz vor seinem 60. Geburtstagstarb, war sein Theater eine Kanonengießerei.
Die Kultur kehrte erst 1696 zurück. «Es war ein kompletter Umbau.Fensterfronten wurden eingelassen, eine Rotunde auf das Dachgesetzt», sagt Kai Füldner, der heutige Direktor des Ottoneums. Vorallem aber wurde das Konzept geändert: «Es war nun ein Kunsthaus, miteiner Sternwarte auf dem Dach, Experimentierstuben darunter und einemTheater im größten Raum.» Und es war die Schatzkammer von LandgrafKarl. Ein Teil seiner Kuriositäten liegt noch heute dort: Dermissgebildete Stoßzahn eines Elefanten, ein Himmelsglobus aus reinemSilber - mit siebenstelligem Versicherungswert das teuerste Stück -und der gut einen Meter lange Stoßzahn eines Narwales. «Das wurdefrüher den Leuten als Stange eines Einhorns verkauft», sagt Füldner.
Um die Wende zum 18. Jahrhundert sah das Ottoneum zahlreicheForscher. Denis Papin, Erfinder des Dampfkochtopfs, werkelte hier aneiner frühen Dampfmaschine und einem «Luftmörser». Die Versuchewurden jedoch eingestellt, als eine mit Luftdruck abgeschosseneSteinkugel den Unterkiefer von Papins Assistenten zerschmetterte.Dafür fanden öffentliche Leichenöffnungen im oder vor dem Ottoneumstatt. Getrocknete, 300 Jahre alte Föten zeugen noch vom Aufbruch zurmodernen Medizin.
Von 1779 an wurden alle Exponate nach nebenan ins gerade eröffneteFridericianum gebracht. Ins Ottoneum zogen adlige Studenten und baldauch Kadetten. Wilhelm I., der erste Kurfürst Kurhessens, machte dasOttoneum schließlich zum «Obersteuercollegium». Hier wurden nunFinanzen verwaltet, für Kultur war kein Platz.
Aber die Raritäten gab es noch und so kamen immer wiederProminente ins Ottoneum. Johann Wolfgang von Goethe untersuchte hiereinen Elefantenschädel, in der Hoffnung seine Abstammungstheorieuntermauern zu können. Das Tier aus der Hofmenagerie war in derFulda-Aue verunglückt, den Schädel sandte man Goethe nach - zumEntsetzen seiner Zimmerwirtin. Kopf und Skelett sind längst wiedervereint, «der Goetheelefant ist heute die bekannteste unserer drei"Reliquien"», sagt Füldner stolz.
Um die beiden anderen beneiden auch größere Häuser das kleineMuseum in Kassel. Da ist das Herbar Ratzenberger, eine fast fünfJahrhunderte alte Sammlung gepresster Pflanzen. Und dieSchildbachsche Holzbibliothek, in der Carl Schildbach mehr als 600Holzsorten sammelte.
Es dauerte noch bis 1837, bis die «Naturfreunde Kassel» aus denAmtsstuben wieder ein reines Museum machten. 1885 wurde das Ottoneumdann Preußisches und 1929 Städtisches Naturkundemuseum. 1943 wurdedas Gebäude durch englische Bomben stark beschädigt. Im restauriertenOttoneum sind noch heute die Glanzstücke der Vergangenheit zu sehen.Künftig soll das Haus aber nur noch die Region widerspiegeln. NeuerStar wird ein zehn Meter langes Skelett, dem Fundort nach einNordhesse. Nur Theateraufführungen wird es auch künftig nicht geben.Geschweige denn aus dem Boden springende Teufelchen.