1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Karl Mickel: Karl Mickel: Mickels Welt- und Geisterstunde

Karl Mickel Karl Mickel: Mickels Welt- und Geisterstunde

Von Manfred Jendryschik 19.03.2004, 16:26

Halle/MZ. - Eine Anmerkung sagt, dass diese Zusammenstellung 1999 als Privatdruck in 50 signierten Exemplaren erstmals die Eingeweihten erreichte, das heißt: in Henry Günthers Edition in Gotha - nun die Welt. Freilich könnte die vielleicht ein paar Notizen zum Leben des Autors vertragen, zum Beispiel Geburts- und Todesdatum, Berufswege, Werkausgaben; Mickel ist zwar wesentlich, aber auch wesentlich unbekannt. Das meint: Er war seit Mitte der sechziger Jahre der Primus (interpares) einer ganzen Dichtergeneration - von Volker Braun bis zu Sarah und Rainer Kirsch, von Endler, Lorenc, Erb, Czechowski bis zu Gosse haben sie alle ihren Mickel gekannt. Er war der andere Heiner Müller.

Dieses Buch nun gliedert sich in einen Dreischritt, für den die Titel "Irrlicht", "Das Jahrhundert" und "Zeitsprung" stehen und aufleuchten lassen, was jeweils mit einmischender Polemik, mit krudem Ineinanderschieben der Kontinent- und Saeculum-Sedimente und was mit dem beinahe apokryphen Zurückgezogensein poetisch zu erreichen ist. Der Irrwitz, das Auf-die-Kehle-Treten beim Lachen, das Erkennen von Wahnsinns Beute rumoren oft genug, zuweilen sehr bitter, etwa im "Gescheiterten Plan zum Ewigen Frieden", mit dem er drei sich in Schach haltende Großmächte wünschte, Stabilität wie ein "dreibeiniger Schemel".

Fröhlicher ist da schon zu sehen, wie im "Colloquium" die Europäische Aufklärung sich im Geknacke und Geknirre Wiepersdorfer Natur und den Böllerschüssen eines Gewitters (inszeniert wie von Jandl) verliert oder die Russische Oktoberrevolution im Alkohol ("Die Weinvernichtung von Petrograd 1917...").

Ein Faktum, das hier anhebt mit der Frage, was denn die Paläste gegen die Schampuskeller der Paläste sind und endet: "Aurora schwamm auf Wegen Wein, Genossen" - ein Anfang vom Schluss, der lautet als Seufzer: "Tuskische Goetter! Der Ostblock zerbroeckelt /Unter mein Arsch" (im Gedicht "Grabung"). Im dritten Teil zeigt der sich raffende, maßvolle, also weise, der durchschauende und illusionslose Mickel der letzten Jahrzehnte auf seiner Höhe, jedes Gedicht ein Block. Von wem, welcher Zeit spricht er, fragt man sich (scheinbar), wenn ein Text beginnt mit den Worten: "Ein wenig fröstelnd aber leichten Fußes / Ging sie dahin am Rand der Stadt und fluchte / Der Ton melodisch, daß die Knospen sprangen" und aufhört: "Sie wandte sich. Ich... / sahe die vernähten Augenlider"?

Und gezeigt wird, wie sich auf einer Doppelseite zärtlichste Liebe und simpler Verrat gegenüberliegen, wie sich Wehrhaftigkeit gegen das Altern durch Zitate stützt und wie es um die kapitale Abhängigkeit steht - als der Herr befiehlt: "Steig Er auf den Ulmbaum und zerstreue / Dieses Gewölk mit starken Fürzen", was sagt da der Knecht?: "Yes, Sir." - Offenbar wusste Mickel fast alles.