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«Kabale und Liebe» im Milieu moderner Manager

Von Ulrike Cordes 13.09.2008, 10:55

Hamburg/dpa. - Als zeitloses, kaltes und dunkles Planspiel um Status und Karriere schildert Du?an David Parizek die Welt in Schillers «Kabale und Liebe» am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

Den Untergang der reinen, aber allzu naiven Herzensverbindung zwischen dem sozial hochrangigen Ferdinand und der unstandesgemäßen Luise in einem Beziehungsgeflecht voller Abhängigkeiten, Skrupellosigkeiten und Intrigen formuliert der Regisseur in minimalistischen, kantigen Bildern. Für die vom Konzept her sehr stimmige, doch emotional nicht jeden Zuschauer mitreißenden Zwei-Stunden-Fassung erhielten der 37-jährige Tscheche Parizek und sein Ensemble - allen voran die starken Hauptdarsteller Aleksandar Radenkovic und Julia Nachtmann - zur Saisoneröffnung kräftigen Beifall vom Premierenpublikum.

Die Atmosphäre beklemmender, gefühlstötender Borniertheit vermittelt bereits die ebenfalls von Parizek gestaltete Bühne: Zwei massive Holzwände und ebensolches Parkett ragen schräg und bedrohlich in den Zuschauerraum hinein. Ihr Muster erinnert an Schachbretter. Die Personen dieses bürgerlichen Trauerspiels von 1783/4 wirken hier denn auch wie Figuren einer konsequent ablaufenden Schachpartie. Dieses Milieu erscheint zwielichtig. Richtig hell wird es nur ein Mal ganz am Anfang, als Ferdinand und Luise, zwei junge Leute in lässiger, moderner Alltagskleidung, sich küssen. Doch bereits da traut Parizek ihrer Liebe nicht allzu viel zu: Die Beziehung wirkt verhuscht, später kommt es einmal zu einer fieberhaften, aber bald abgebrochenen Sexszene.

Schnell holt die Realität die beiden ein: Ferdinand versperrt sich den Karriereplänen seines Vaters, des aalglatten Präsidenten von Walter (Lukas Holzhausen), nach denen er die Geliebte des Herzogs, Lady Milford (Ute Hannig), zu heiraten hätte. Da spinnt der Vater mit Hilfe seines Sekretärs Wurm, der auch ein Auge auf Luise geworfen hat, eine virtuose Intrige («Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig!»), die tödlich enden wird. Statt der Hofschranzen Schillers führt Parizek staatstragende, gesichtslose Anzugmänner vor, die als Minister oder Manager von heute daherkommen: Neben dem Präsidenten kämpfen der elegante Ehrgeizling Wurm (Philipp Otto) und der schimmernde Hofmarschall von Kalb (Janning Kahnert) um Einfluss und Stellung. Geschäftsmäßig kühl ist ihr Ton beim moralfreien Tun.

In diesem Räderwerk wird auch Ferdinand schuldig. So erpresst er beispielsweise seinen korrupten Vater. Mit vielen Handgreiflichen - Ohrfeigen, Rangeleien und Gefuchtel mit Pistolen - markiert der Regisseur die kaputten Beziehungen der Menschen. In letzter Konsequenz wird hier ein jeder von ihnen - ob tot oder lebendig - von jedem anderen abgetrennt sein. Luises biedere Eltern (Michael Prelle, Juliane Koren) können an der Entwicklung ebenso wenig ändern wie die desillusionierte Lady Milford, die von Hannig erst nackt und verschlampt im schwarzen Kimono, dann im Abendkleid verkörpert wird («Mein Herz hungert bei all dem Überfluss der Sinne»).

Merkantile und erotische Interessen bestimmen das Denken und Handeln der Posteninhaber. An ihre Jobs klammern sie sich, weil sie sonst «nichts» wären. Doch trotz dieser Verhältnisse tragen auch die Unsicherheiten der Liebenden dazu bei, ihr Glück scheitern lassen. Vor allem der Mann, Ferdinand, zeigt Schwächen - er lässt sich leicht täuschen, reagiert hämisch und aggressiv. Dagegen entwickelt sich die von Nachtmann sensibel gezeichnete mädchenhafte und mutige Luise zur eindrucksvoll tragischen Heldin. Am Schluss gönnt der Regisseur den beiden nicht einmal mehr den gemeinsamen Liebestod durch vergiftete Limonade sowie die Vergebung des Vaters durch den Sohn. Ferdinand und Luise erschießen sich - jeder für sich allein.

Parizek, der im vergangenen Jahr die Spielzeit am Deutschen Schauspielhaus nicht völlig überzeugend mit der «Hermannsschlacht» von Kleist begonnen hatte, leitet das Kammertheater in Prag. Der deutschsprachigen Literatur sehr zugetan hat er in seiner Heimat Tschechien immer wieder Stücke von Elfriede Jelinek, Heiner Müller und Werner Schwab aufgeführt. Im Westen inszeniert Parizek unter anderem in Berlin, Dresden und Köln als Gast.

www.schauspielhaus.de