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Juliana von Stolberg Juliana von Stolberg: Annäherung an die Ahnfrau

Von Andreas Stedtler 22.09.2006, 20:02

Halle/MZ. - Julianas Antlitz ist kindlich, forsch sogar, gleichzeitig jedoch erschreckend erwachsen und ängstlich. Die Wangen rundlich, wohl genährt, das Haar zu einem Kranz geflochten und mit Blumen verziert.

Heute, 500 Jahre nach ihrem Geburtstag, wird auf Schloss Stolberg das Denkmal der Juliana enthüllt, neben Thomas Müntzer wohl eine der berühmtesten Persönlichkeiten der Stadt. Man weiß wenig über die Kinderjahre der jungen Gräfin im Harz. Es existiert weder eine bildliche Darstellung von ihr, noch gibt es andere Anhaltspunkte, wie das Mädchen, das später als Stammmutter des niederländischen Königshauses in die Geschichte eingehen wird, zu dieser Zeit ausgesehen haben könnte. Gewiss ist nur, dass sie Stolberg schon zeitig verlassen musste.

Der Bildhauer Bernd Göbel (64) aus Halle hat die Person Juliana von Stolberg ergründet, hat aus Briefen erkennbare Charakteristika in Bilder umgesetzt. Und hat in seiner Plastik einen völlig neuen Menschen erschaffen, der scheinbar nur in der Phantasie existiert. Kennt man jedoch die Geschichte dieser vermeintlich Fremden genauer, ist die Ähnlichkeit frappierend. "Man muss eintauchen in diese alte Zeit, muss sich Zeit nehmen, Juliana in ihrer Epoche zu sehen", erklärt der Burg-Professor und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Ein halbes Jahr hat er an der Plastik gearbeitet. Derzeit wird ihr von Ziseleuren der letzte Schliff verpasst. "Es ist nicht schwierig, sich Stolberg im 16. Jahrhundert vorzustellen. Die langen Fachwerkstraßen, das Schloss, das über allem thront. Juliana lebt in der tiefsten Provinz, weit ab von allem, mitten im Wald. Vielleicht träumt sie von der großen weiten Welt, wie das junge Mädchen nun mal so tun. Vielleicht hat sie aber auch Angst, nie wieder zu kommen, ihre Eltern nie wieder zu sehen, wenn sie geht. Wir können das nur mutmaßen. All das muss der Betrachter in ihrem Gesicht erahnen können."

Juliana Gräfin zu Stolberg kommt im Februar 1506 in der idyllischen Harzstadt (Kreis Sangerhausen) als fünftes Kind des regierenden Grafen Botho und dessen Ehefrau Anna von Eppstein und Königstein zur Welt. Bis zu ihrem 13. Lebensjahr lebt sie dort, dann wird sie, zwecks standesgemäßer Erziehung und späterer Vermählung, an den Hof ihres Onkels nach Butzbach geschickt. Schon hier endet die Verbindung der jungen Adligen zu Stolberg.

Ihr Abbild aus Bronze zeigt sie etwa in der Zeit, als sie Stolberg verlässt. "Die Kugel unter ihren Füßen ist ihre kleine Welt. Synonym für das begrenzte Fleckchen Erde, das ihr bisher vertraut ist", erklärt Göbel seine Darstellung. Auf dem Kopf trägt seine Juliana einen geflochtenen Kranz aus Blumen. Sie will ein Stück Kind sein in einer doch sehr erwachsenen Umgebung. Mit der linken Hand drückt sie einen kranken Vogel an ihre Brust. Eine soziale Ader und ein stets offenes Ohr für Schutzbedürftige werden ihr nachgesagt, genau wie Wissbegierigkeit. "Weltfremd könnte sie gewesen sein", sinniert Göbel, "denn wenn man in einer Hansestadt wohnt, kommt immer mal ein Seemann, der einem von fernen Ländern berichtet, aber wer kam nach Stolberg?" So näherte sich der Bildhauer der Person Julianas Stück für Stück, er lernte sie kennen, ohne dass sie jemals bei ihm Modell gestanden hätte.

In den Niederlanden wird Juliana heute verehrt, sie gilt als Ahnfrau des Hauses Oranien-Nassau. Straßen und Schulen sind nach ihr benannt. Königin Beatrix ist ihre direkte Nachfahrin, auch sie hat ihre Wurzeln demnach im sachsen-anhaltischen Stolberg. Und darauf ist man hier stolz.

Im Juni 1523 heiratet die inzwischen 17-Jährige in Hanau Graf Philipp 2. von Hanau-Münzenberg. Sie wird bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1529 Mutter von fünf Kindern. Die Familie soll ihr Lebensmittelpunkt gewesen sein. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratet Juliana 1531 wieder. Ihre ältesten Söhnen Prinz Wilhelm 1. und Graf Johann 6. werden zu Stammhalten der Oranier-Linie. Juliana ist wahrscheinlich nie nach Stolberg zurückgekehrt. Sie starb hoch betagt im Jahr 1580 und hinterließ 150 Enkel und Urenkel. Im gesetzteren Alter pflegte sie einen umfangreichen Briefkontakt zu ihrer großen Verwandtschaft, heute die ergiebigste Quelle zu ihrer Person.

Die Arbeiten an der Plastik sind nun fast abgeschlossen. Metallbildner Fujimi Barth mustert den Korpus akribisch. Von den Schweißnähten ist nichts mehr zu entdecken, die filigranen Partien, wie etwa das dicke Buch und ihre rechte Hand, sind perfekt herausgearbeitet. Jedes Detail ist zu erkennen, selbst das gepresste Laubblatt zwischen den Seiten. Göbel ist zufrieden, auch Fujimi Barth scheint mit seiner Arbeit einverstanden. Er ist schon in dritter Generation Metallbildner. Sein Großvater Richard hat das Unternehmen 1929 in Berlin gegründet. 1970 wurde der Sitz ins niedersächsische Rinteln verlegt.

Die ganz großen Bildhauer habe hier gießen lassen. Überall auf der Welt sind sie zu finden, die Figuren, die hier entstanden sind. Philadelphia, Sidney und Montreal sind nur eine kleine Auswahl. Auch die Plastiken des umstrittenen Hitler-Bildhauers Arno Breker verließen einst diese Werkstatt. Deren Räume sind hell, in den großen Regalen liegen allerlei Gliedmaßen und Büsten aus Gips und Metall. Die Negative der gegossenen Plastiken werden in einem großen Lagerraum aufbewahrt.

Der Platz, auf dem die siebzig Kilo schwere Juliana von nun an stehen soll, ist nicht weniger durchdacht als die Figur selbst. Am Ende der steilen Treppe zum Schloss Stolberg soll sie ab heute über die Dächer der Stadt schauen. "Wenn ich zum Schloss hochsteige, kommt sie mir entgegen", erklärt Bernd Göbel die Idee, "denn Juliana verlässt ja die Stadt, das Schloss und ihre Eltern, sie lässt alles hinter sich."

Vergessen worden ist sie dennoch nicht: In diesem Jahr feiert die Stadt im Harz stolz den 500. Geburtstag ihrer großen Tochter. Heute um 15 Uhr soll Bernd Göbels Plastik am Schloss feierlich enthüllt werden.