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Julia Jentsch mag osteuropäische Filme

Von Friedemann Kohler 27.04.2009, 12:14

Wiesbaden/dpa. - Im Osten Europas erzählt das Leben derzeit die härteren, aber auch die lebendigeren Geschichten. Deshalb mag die Schauspielerin Julia Jentsch («Sophie Scholl») das osteuropäische Kino.

«Es gibt Filme, die viel existenzieller sind, aus einer existenziellen Not kommen», sagt sie als Preisrichterin beim 9. goEast-Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden.

In der Jury unter Leitung des polnischen Regisseurs Jerzy Stuhr kürt die 31-Jährige aus zehn Spiel- und sechs Dokumentarfilmen den Gewinner. Altmeister wie der Pole Andrzej Wajda mit seinem Werk «Tatarak» (Der Kalmus) bewerben sich ebenso Regieneulinge aus Georgien und Usbekistan. An diesem Dienstagabend wird die mit 10 000 Euro dotierte Goldene Lilie des Filmfests vergeben.

Nach einem Kurzfilmfestival ist es für Jentsch die erste Mitarbeit in einer Jury. «Wenn man am Tag drei oder vier Langfilme sieht, dann ist noch mal eine ganz andere Aufmerksamkeit verlangt», erzählt sie in einer Pause. Bislang kannte die Preisträgerin des Silbernen Bären der Berlinale 2005 und des Europäischen Filmpreises 2005 Wettbewerbe vor allem als Teilnehmerin: «Wenn man selber mit einem Film beim Festival vertreten ist, dann ist die Aufregung sicherlich größer. Man ist gespannt, wie der Film aufgenommen wird.»

Zur Jury bei goEast ist Jentsch durch eigene Dreherfahrungen im Osten gekommen. 2006 stand sie in Tschechien vor der Kamera für die Tragikomödie «Ich habe den englischen König bedient» von Jiri Menzel. 2008 drehte sie unter Regie von Malgorzata Szumowska «33 Szenen aus dem Leben» in Polen. «Das ist eine andere Kultur, eine andere Mentalität, die einem da begegnet, die fasziniert und Spaß macht», erzählt die geborene West-Berlinerin. In Tschechien habe es ihr der besondere Humor angetan.

Bei strahlendem Sonnenschein während der Filmfesttage bleibt für Jentsch nur kurze Zeit für Abstecher in den nahen Kurpark von Wiesbaden. «Manchmal gehen wir in den Park und tauschen uns aus. Aber die meiste Zeit verbringen wir im dunklen Kinosaal.» Im Kino Caligari erlischt das Licht erst, wenn Stuhr, Jentsch und ihre Kollegen wieder Platz für den nächsten Wettbewerbsbeitrag genommen haben.

Über ihre Favoriten darf Jentsch nichts sagen. «Das hat man uns mehrfach eingeschärft», erzählt sie lachend. Beim Publikum kam der georgische Beitrag «Das andere Ufer» von George Ovashvili gut an. Sein Film ist voller Trauer um das von Bürgerkriegen zerrissene Land im Kaukasus: Der georgische Flüchtlingsjunge Tedo geht auf den gefahrvollen Heimweg in die abtrünnige Region Abchasien, um seinen verschollenen Vater zu finden.

Ein renommierter Regisseur im Wettbewerb und alter Bekannter in Wiesbaden war der Russe Alexej Balabanow («Der Bruder»). Er hat in «Morphium» die «Aufzeichnungen eines jungen Arztes» von Michail Bulgakow verfilmt. Der kroatische Regisseur Goran Rusinovic verlegt in «Buick Riviera» die ethnischen Konflikte des alten Jugoslawiens an einen Schauplatz in den USA.

Von der politischen Sprengkraft des osteuropäischen Kinos kündete bei goEast eine Filmreihe zum Fall der Berliner Mauer vor 20 Jahren. In fast allen damals sozialistischen Ländern seien einzelne Filme, durchgeboxt gegen Zensur und Kulturbürokratie, «Vorboten der Wende» gewesen, sagte der Berliner Filmexperte Claus Löser. Aus dem sowjetischen Filmschaffen der Perestroika wählte er das Drogendrama «Igla» (Die Nadel) aus, das sich als psychedelischer Untergrundfilm gibt. In der DDR deuteten 1988 die offenen Interviews von Helke Misselwitz in «Winter adé» an, dass bald eine neue Zeit kommen werde.