Joseph Haydn Joseph Haydn: Der vielleicht größte Star der Klassik

HAMBURG/DPA. - Mindestens eine seiner Melodien kennt wohl jeder,vor allem bei Fußball-Länderspielen wird sie nicht nur gesungen,sondern öfter gegrölt: Die Kaiserhymne von Joseph Haydn (1732-1809),die später zur deutschen Nationalhymne wurde. Damals lautete der Textallerdings noch «Gott erhalte Franz den Kaiser» - was Fußballfansnoch heute gefallen dürfte. Zu Lebzeiten galt Haydn als größtes Genie aller Zeiten, danach geriet er in den Schatten Mozarts undBeethovens. Doch zu seinem 200. Todestag (31. Mai) ändert sich dies,mit zahllosen Konzerten, Fernsehbeträgen und neuen Biografien sollder lange Verkannte wieder der Superstar werden, der er einst war.Nach dem Mozart-Superjahr 2006 ist nun Haydn an der Reihe.
Dabei hatte seine Nachwelt den humorvollen, liebenswürdigen, aberpockennarbigen und vergleichsweise hässlichen kleinen Mann gründlichmissverstanden. Die scheinbare Einfachheit seiner Musik galt alsüberwunden. «Er ist wie ein gewohnter Hausfreund, der immer gerneempfangen wird; tieferes Interesse hat er für die Jetztzeit nichtmehr», schrieb Robert Schumann im Jahr 1841. Kindisch und veraltetzugleich in ihrer vermuteten Rokoko-Seligkeit erschien die Musik denKünstlern der Romantik - Richard Wagner schrieb denn auch über die«Kindlichkeit des geborenen Greises».
Erst im 20. Jahrhundert erkannte man die einzigartige BedeutungHaydns für die Musik. Der äußerst produktive Komponist, der unteranderem 107 Symphonien und 68 Streichquartette schrieb, wurde beinahezum Erschaffer eben der Gattungen Symphonie und Streichquartett.«Alle großen Komponisten haben auf Haydns Ideen aufgebaut, aber erwar sicher der originellste von allen», sagte der Dirigent NikolausHarnoncourt. Der 1732 geborene Haydn selbst sagte einmal, niemandhabe ihn als von der Welt abgesonderten Künstler an sich selbstirremachen und quälen können. «Und so musste ich original werden.»
Und das war ein langsamer Prozess. Denn anders als sein spätererFreund Wolfgang Amadeus Mozart war Haydn kein Wunderkind. Nachdem derSohn eines Stellmachers aus Rohrau in Niederösterreich wegen desStimmbruchs mit 17 Jahren die Chorschule des Wiener Stephansdomsverlassen musste, wurde er freier Musiker und Musiklehrer. Erst 1761,mit 29 Jahren, trat er seine Lebensstellung am Hof der FürstenEsterházy im heutigen Ungarn an. Drei Jahrzehnte wirkte er alsKapellmeister, konnte als Orchesterchef «Versuche machen, beobachten,was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern,zusetzen, wegschneiden, wagen». Sein Ruhm breitete sich über Europaaus.
Erst mit dem Tod des Fürsten Nikolaus Joseph Esterházy im Jahr1790 löste sich Haydn aus seiner Abgeschiedenheit und zog nach Wien.Dies nutzte der Londoner Konzertveranstalter Johann Peter Salomon,der Haydn für die Konzertsaison 1791/1792 nach London lockte - einüberwältigender Erfolg. Auch eine zweite Reise war erfolgreich, Haydnwurde der berühmteste Komponist seiner Zeit.
Abgesehen von wenigen Reisen fühlte sich Haydn mit seiner Umgebungverwachsen. Das mag einer der Gründe sein, warum sich die Nachweltseiner als eines biederen Provinzkomponisten entsann - und ihn mitder fatalen Floskel vom «guten Papa Haydn» als zu gefällig verhöhnte.Mozart hatte einst seinen Freund noch voller Hochachtung so genannt.Die Missachtung lag vermutlich gerade an der Fröhlichkeit undNatürlichkeit des Komponisten, der, wie er selbst sagte, «von einemgewissen Humor ergriffen» wurde, der sich nicht bändigen ließ. Haydnwar, wie der Musikwissenschaftler Karl Geiringer einst schrieb,«vielleicht der gewaltigste Diesseitsgeist unter den großenMusikern». Kein Wunder, dass die Romantiker den Mann verachteten, dernicht an sich und der Welt litt.
Und doch: «Haydn hat Werke geschrieben, die jenen Mozartsebenbürtig und manchmal überlegen waren», sagte der Haydn-Experte undPräsident der Wiener Haydn-Gesellschaft, Paul Angerer. Wohl niemalsentthront in den Konzertsälen wurde der Vokalkomponist Haydn mit denOratorien «Die Schöpfung» und «Jahreszeiten».
Haydn starb am 31. Mai 1809 in Wien. 1820 ließ die FamilieEsterházy die Leiche exhumieren und an den Familiensitz imösterreichischen Eisenstadt überführen. Doch fehlte der Schädel desKomponisten, den übereifrige Anhänger der «Schädellehre» Franz JosephGalls abgetrennt hatten, um Thesen vom Zusammenhang zwischen Genieund Anatomie zu beweisen. Erst 145 Jahre später kamen Schädel undGebeine in den gleichen Sarkophag.