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José Saramago José Saramago: Der ewige Pessimist

15.11.2002, 09:25
José Saramago (Foto: dpa)
José Saramago (Foto: dpa) Pressensbild

Madrid/dpa. - José Saramago war jahrelang als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis gehandelt worden. «Wenn das so weitergeht, muss ich mich bei meinen Freunden noch dafür entschuldigen, dass ich ihn nicht bekomme», scherzte er stets. 1998 erhielt er ihn tatsächlich, als erster portugiesischer Schriftsteller überhaupt. Saramago ist damit bekannter geworden, doch viel mehr hat sich in seinem Leben nicht verändert. Der Autor, der am Samstag (16. 11.) 80 Jahre alt wird, ist der ewige Pessimist und Gesellschaftskritiker geblieben.

«Nicht denken, nicht reagieren, nicht kritisieren. Das scheint das Motto der heutigen Zeit zu sein», sagt der überzeugte Kommunist Saramago, der sich stets auch zur aktuellen Politik zu Wort meldet. Dies bringt ihm zuweilen Ärger ein. So etwa, als er im März dieses Jahres bei einem Besuch in Ramallah die israelische Besetzung in den palästinensischen Autonomiegebieten mit den Gräueln der Nazis in Auschwitz und Buchenwald verglich. «Die Israelis haben Palästina in ein Konzentrationslager verwandelt.» Trotz der Proteste nahm er seine Vorwürfe nicht zurück.

Ebenso konsequent zeigt er sich gegenüber der Politik seines Landes. Sollten die Konservativen in Lissabon an die Macht kommen, werde er dem offiziellen Portugal den Rücken zukehren, sagte er vor den Wahlen im vergangenen März. Er machte seine Drohung wahr: Seitdem die Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident José Manuel Durão Barroso an der Macht ist, hat Saramago sein Land nicht mehr bei offiziellen Anlässen vertreten. Im September weigerte er sich, an der wichtigen spanischen Buchmesse Liber in Barcelona teilzunehmen.

Der Autor hat nie verziehen, dass sein siebter Roman, «Das Evangelium nach Jesus Christus» (1991), in Portugal wegen angeblicher Verletzung religiöser Gefühle auf Veranlassung der damaligen konservativen Regierung von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis gestrichen wurde. Der Atheist Saramago hatte den Gottessohn als Jüngling dargestellt, der auch an seinem eigenen Glauben zweifeln kann.

«Wenn so etwas zu Zeiten der Salazar-Diktatur geschehen wäre, hätte ich es ja noch verstehen können. In einer Demokratie aber empfand ich diese Zensur beschämend», sagte der aus armen Verhältnissen stammende Autor. Deshalb zog er Konsequenzen: Mit seiner aus Spanien stammenden Frau Pilar del Río verließ er Portugal. Seit 1993 lebt er auf der Kanaren-Insel Lanzarote.

Saramagos pessimistisches Weltbild schlägt dem Leser in vielen seiner Romane entgegen. In «Das Zentrum» (2002), seinem neuesten auf deutsch erschienenen Buch (Originaltitel: «La Caverna»/Die Höhle), beschreibt er den Kampf des kleinen Töpfers Cipriano gegen ein großes Einkaufszentrum - der Konsumtempel als Albtraum. Das Buch ist Teil einer zufällig entstandenen Trilogie, zu der auch «Die Stadt der Blinden» (1995) und «Alle Namen» (1997) gehören.

In Portugal hat Saramago vor wenigen Tagen seinen jüngsten Roman veröffentlicht, «O homem duplicado» (Der duplizierte Mann). Er handelt von einem Geschichtsprofessor, der in einer Videoaufnahme einen ihm identischen Doppelgänger entdeckt und sich auf dessen Suche macht. Zudem ist unter der Regie des Niederländers George Sluizer gerade erstmals ein Buch des Nobelpreisträgers verfilmt worden: In «Das steinerne Floss» löst sich die Iberische Halbinsel vom europäischen Festland und treibt fortan richtungslos auf dem Meer.