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Johannes Heesters Johannes Heesters: «Hitler war ein guter Kerl»

28.11.2008, 07:54
Johannes Heesters tritt als Kaiser Franz Joseph in dem Singspiel «Im weißen Rössl» im Hamburger Theater Winterhuder Fährhaus auf. (FOTO: DPA)
Johannes Heesters tritt als Kaiser Franz Joseph in dem Singspiel «Im weißen Rössl» im Hamburger Theater Winterhuder Fährhaus auf. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Doch derälteste aktive Schauspieler der Welt hat natürlich längst die 110 imBlick und den Terminkalender voller Pläne. Eigentlich ist er alsolebenslustig wie in der Rolle seines Lebens - als Graf Danilo in der«Lustigen Witwe» («meine Lebensgefährtin») mit dem Evergreen «Heutgeh' ich ins Maxim». Schon als Heesters die 100 hinter sich gelassenhatte, meinte der Grandseigneur der Operette: «Ich bin gutdurchgekommen. Es war ein großes Abenteuer», das ruhig noch ein paarJährchen dauern könne.

Den Herrgott darum anbetteln dürfe er natürlich nicht, meint derKatholik, der ursprünglich Priester werden wollte. «Aber ich habe ihndarum gebeten, ich würde mich sehr freuen, noch ein paar spannendeSachen zu erleben.» Denn «Alter schützt vor Arbeit nicht» ist dieDevise der «lebenden Legende», die sich noch an die allererstenAuftritte - natürlich singend - erinnert: «Ich habe den erstenApplaus noch in den Ohren».

Dass manche Leute sagen, «Ach Gott, der lebt ja noch!», weißHeesters auch, er kann darüber schmunzeln. Es sind auch die Leute,die mit dem Namen Heesters vor allem «Champagner, Frack und schöneFrauen» verbinden. Dabei lag dem in Ehren altgewordenen Dandy auchimmer eine Frage auf dem Herzen: Er würde Casanova gerne mal fragen,«ob er glücklich war in seinem Leben».

Zu seiner Lebensdevise gehört selbstverständlich auch, dass das«alte Zirkuspferd», wie in der Bühnenbranche in Ehren altgewordeneund noch aktive Schauspieler achtungsvoll genannt werden, an seinemGeburtstag auf den Brettern, die sein Leben und seine Welt bedeuten,stehen wird. Zum 104. war es der Berliner Admiralspalast, die Stätteseiner großen Operettenerfolge der Vorkriegszeit. Vor dembenachbarten Friedrichstadtpalast verewigte sich Heesters mit seinemHändeabdruck und dem stolzen Ausruf «Ich bin noch da!» im «Walk ofFame» (Ruhmesweg) nach dem Vorbild Hollywoods.

Diesmal spielt Heesters an seinem Geburtstag in der HamburgerKomödie Winterhuder Fährhaus den greisen Kaiser Franz Joseph imKlassiker-Singspiel «Im weißen Rössl» und kokettiert auch dort gernmit seinem Alter: «Sagen Sie, wie lange muss ich noch stehen? Man istja schließlich keine 100 mehr!» Das bekam er auch beim letztenJahreswechsel zu spüren, als er im Treppenhaus seines TirolerFeriendomizils unglücklich stürzte und über eine Feuerwehrleiter mitRippenbrüchen in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Aber:«Heesters singt schon wieder!», hieß es schon am nächsten Tag in derInnsbrucker Universitätsklinik.

Und man hat ja schließlich Termine, Termine, wie zum Beispielgerade erst im vergangenen Oktober die neue Metropolis-Halle in denlegendären Filmstudios in Potsdam-Babelsberg zu eröffnen. Als letzterlebender großer Ufa-Star war das für Heesters eine Ehrenpflicht. Undnatürlich sang der Frauenschwarm ganzer Generationen wieder aus dem«Bettelstudent» («Ich knüpfte manche zarte Bande»), schließlich warder Operettenfilm 1936 auch sein erster Film, den er in Babelsbergdrehte.

Seitdem führte ihn seine Karriere zu einer einzigartigenPopularität in Deutschland. Heesters hier, Heesters dort ist immernoch die Devise, dabei keineswegs gejagt von seiner wesentlichjüngeren Frau Simone, wie böse Zungen immer wieder kolportieren,sondern aus eigenem Antrieb. «Soll ich zu Hause sitzen und warten,bis man mich holt? Ohne Arbeit würde ich richtig krank werden.»

Natürlich muss der fast blinde Heesters und mit dem Gehörkämpfende «Dinosaurier» unter den Schauspielern von seiner Fraugestützt und auch zur Bühne geführt werden, doch wenn Heesters seinKlavier erreicht hat, ist er in seinem Element. Die Stimme ist nochimmer erstaunlich kraftvoll, das Textgedächtnis bewundernswert, auchwenn er ab und an mal Hilfe braucht - mit 105, da sind schon mancheGrundschüler beim Auswendiglernen noch mehr ins Straucheln gekommen!

Das Geraune der Leute um das hohe Alter ihres Mannes und seinevermeintlich mühevollen Bühnenauftritte kontert Simone Rethel-Heesters (59): «Mein Mann kann nicht mehr gut sehen, aber ich wünschejedem, dass er so altern kann wie Jopie.» Und auch sagen kann wie er:«Manchmal denkt man schon, na, man hat doch was erreicht im Leben.»

In Deutschland hat der am 5. Dezember 1903 im holländischenAmersfoort geborene Johannes Marius Nicolaas Heesters Generationenvon weiblichen Verehrern als singender Charmeur alter Schule undlebensfroher Gigolo mit Frack, weißem Seidenschal, Nelke im Knopflochund dem Champagnerglas in der Hand ins Pariser «Maxim» locken wollen.Ein Millionenpublikum lag dem fast unverschämt gut aussehenden«Backfischidol», wie das damals hieß, seit seinen ersten Auftritten1934 in Wien und ein Jahr später in Berlin zu Füßen - wenn «Jopie»Lieder sang wie «Man müsste Klavier spielen können» oder «Ich möchtejede Nacht von Ihnen träumen».

Einen Herzenswunsch konnte sich Heesters erst Anfang dieses Jahreserfüllen, als er am 16. Februar 2008 zum ersten Mal nach fast einemhalben Jahrhundert wieder in seiner holländischen GeburtsstadtAmersfoort auftrat. «Das war für mich der schönste Abend», sagte dergreise Schauspieler und Sänger unter tosendem Applaus an diesemAbend. Allerdings hatte es auch einige Gegendemonstranten gegeben.Wegen seiner Karriere in Nazi-Deutschland war Heesters, der«Lieblings-Danilo» Hitlers, von den niederländischen Bühnenjahrzehntelang boykottiert worden.

Noch im hohen Alter setzte er sich dieser Tage in Berlin sogar vorGericht zur Wehr gegen Behauptungen, er sei bei seinem Besuch mit demEnsemble des Münchner Gärtnerplatztheaters 1941 im KZ Dachauaufgetreten. Der Besuch selbst wird in dem von seiner Frau 2006herausgegebenen Fotoband («Ein Mensch und ein Jahrhundert»)dokumentiert.

Aber ausgerechnet zwei Tage vor seinem 105. Geburtstag sorgte dasNS-Thema noch einmal für Wirbel, als Heesters in einem Interview miteinem holländischen Fernsehsender für eine Satire-Show nach seinenErinnerungen an Hitler befragt wurde: «Adolf Hitler, ja Gott, ichkenn den Mann wenig. Ein Kerl, weißt du, das war er, ein guter Kerl»und auf die erschrockene Reaktion seiner Frau korrigierte: «Nun ja,das war er nicht, aber zu mir war er nett.» Simone Rethel-Heestersist der Überzeugung, dass ihr schwerhöriger und fast blinder Mann vondem Comedy-Sender «hereingelegt» worden ist, die Antwort sei ihmquasi «in den Mund gelegt» worden. «Mein Mann ist im Gegensatz zuvielen seiner Kollegen immer auf Distanz zu den braunen Machthaberngeblieben.»

«Ich habe mein Leben gelebt und habe mich stets bemüht, den Weggerade zu gehen», heißt es in einem Heesters-Lied der späten Jahre.Heesters will den Weg noch ein Weilchen weitergehen. Wenn er dann zuEnde ist, kommt nichts mehr, an eine Wiederauferstehung glaubt derKatholik nicht. «Mein Gott, was soll denn da noch kommen! Es mussirgendwann vorbei sein» - und «der Tag kommt irgendwann», heißt es ineinem seiner letzten Lieder mit dem Titel «Generationen».