Johann Wolfgang Goethe Johann Wolfgang Goethe: Der Islam hatte einen treuen Freund

Hamburg/dpa. - Die Umstehenden deuteten sie als ein «W», denAnfangsbuchstaben seines zweiten Vornamens - doch manche Muslimeglauben, dass Johann Wolfgang von Goethe, dahindämmernd und zuschwach zum Sprechen, das arabische Zeichen für Allah schrieb. DieWahrheit ist wohl nicht mehr zu ermitteln - doch wird 175 Jahre nachGoethes Tod allmählich klar, wie eng sich Deutschlands größterDichter dem Orient und dem Islam verbunden fühlte.
Dass der vielseitig interessierte und ungemein aufnahmefähigeBeamtensohn aus Frankfurt am Main intellektuell auch nach Arabien undPersien blickte, ist unübersehbar: Davon zeugt allein schon dieGedichtsammlung «West-östlicher Diwan», die allerdings beim Publikumwenig Zuspruch fand. Die Faszination durch das Morgenland passtenicht in das Bild, das sich eine immer nationalistischer werdendeNachwelt im 19. Jahrhundert von Goethe machte. Selbst heutigeBiografien spielten das herunter, klagte der Orientalist Peter-Antonvon Arnim noch vor wenigen Jahren.
Dabei hatte die Germanistin Katharina Mommsen schon 1988 auf über600 Seiten die Bezüge ausgebreitet. Bereits im Entwurf zum frühenDrama «Götz von Berlichingen» - populär durch den täglich tausendfachgebrauchten Fluch - findet sie eine Koransure zitiert. Ziemlichsicher hat Goethe das Werk Mohammeds schon als Student gelesen undals der Bibel gleichberechtigt geachtet. Schließlich war der 1749geborene angehende Jurist ein Kind der Aufklärung, die religiöseToleranz propagierte.
Doch Mommsen meint, dass Goethe über den Zeitgeist hinaus einepersönliche Neigung zum Islam verspürte, weil er mit dessenHauptlehren wie Schicksalsergebenheit und Offenbarung Gottes in derNatur innerlich übereinstimmte. «Weiter kann ich nichts sagen, alsdass ich mich auch hier im Islam zu halten suche», schreibt der70-Jährige, als seine Schwiegertochter schwer erkrankt - ähnlicheZeugnisse gibt es aus allen Lebensphasen.
Von Pech und Unglück konnte die Schicksalsergebenheit nichtrühren. Goethe war ungemein erfolgreich - künstlerisch,gesellschaftlich, bei den Frauen. 1774 macht ihn der Briefroman «DieLeiden des jungen Werther» auf einen Schlag bekannt. Im Jahr daraufholt ihn der kunstsinnige Herzog Karl August nach Weimar. Goetheverfasst Dramen und Gedichte, korrespondiert mit Gelehrten, treibtnaturkundliche Studien und entdeckt dabei den Zwischenkieferknochen,der Zweifel an der Abstammung des Menschen von den Säugetierenwiderlegt. Auf einer Italienreise (1786-88) begegnete er der antikenKunst; daraus entwickelte er gemeinsam mit Friedrich Schiller dasStilideal der Klassik.
Als sein Lebensabend anbricht, begibt sich Goethe geistig insMorgenland. Angeregt von den Werken des mittelalterlichen persischenLyrikers Hafis, packt er seine Verehrung für denorientalisch-islamischen Kulturkreis in den Gedichtzyklus«West-östlicher Diwan» - eine Verehrung, die keineswegs blind ist. Im«Diwan» setzt er sich kritisch-ironisch mit der Rolle der Frau unddem Verbot des Weins im Islam auseinander. Ein «verkappter Muslim»sei Goethe nicht gewesen, urteilt Mommsen.
Während der Arbeit an der Sammlung erlebt der Mittsechziger nocheinmal eine Romanze. Bei einem Kuraufenthalt in Wiesbaden begegnet er1815 der Frankfurter Bankiersgattin Marianne von Willemer. Die 35Jahre Jüngere inspiriert ihn nicht nur zu den Liebesversen an«Suleika», sondern steuert auch selbst ganze Gedichte zum «Diwan»bei. Danach kehrt Goethe nie mehr in seine hessische Heimat zurück.In Weimar widmet er sich der Vollendung seiner Werke, vor allem des«Faust», an dem er seit Jahrzehnten arbeitet und in dessen zweitenTeil er zahlreiche Referenzen zu den arabischen Märchen aus«Tausendundeiner Nacht» unterbringt.
Für den Islamwissenschaftler von Arnim sind «Faust» und «Diwan»geradezu Dokumente einer Öffnung zur Welt, einer Art «Globalisierungdes Denkens». Goethe habe sogar eine reichhaltigere Vorstellung desIslam gewonnen, als sie heutigen Muslimen vermittelt werde. Denn zuseiner Zeit habe die europäische Orientalistik eine Blüteperiodeerlebt. Später sei «die Weitergabe des Islam durch dieSchriftgelehrten immer mehr erstarrt. Ich denke, Goethe gibt auchMuslimen in Deutschland die Möglichkeit, ein Islambild zu entwickelnund zu verteidigen, das ihnen vielleicht gar nicht so bekannt ist».