James Bond in Rot James Bond in Rot : Die wahre Geschichte des DDR-Geheimagenten Horst Hesse

Magdeburg/Halle (Saale) - Die Welt ist schwarz und weiß, die Bösen tragen Anzug, es wird viel geraucht und noch mehr getrunken und manchmal sogar Englisch gesprochen. Das geteilte Deutschland Mitte der 50er Jahre, Würzburg in der Bundesrepublik: Horst Hesse, geboren in Magdeburg, hält mit seinem Auto vor der Zentrale des US-amerikanischen Militärgeheimdienstes MID, er wuchtet zwei Tresore und einen Seesack in den Wagen. Es ist Wochenende, niemand beobachtet ihn, niemand hält ihn auf.
Es ist das Finale der Aktion „Schlag“, die der Staatssicherheit einen triumphalen Erfolg beschert. Horst Hesse, der im Auftrag des MfS beim MID gearbeitet hat, bringt Geheiminformationen mit nach Hause. Namen, Daten, Informationen über US-Agenten in der DDR. Und, so zumindest wird die DDR behaupten, Aufmarschpläne der Nato für den III. Weltkrieg. Hesse, der Geheimagent. Hesse, der ostdeutsche Bond, wie es später heißen wird, als die Defa nach der Vorlage seines Falles den Film „For Eyes Only“ dreht, den über zwei Millionen Kinobesucher sehen werden. Hesse, der Held.
Defa-Stars wie Alfred Müller und Helmut Schreiber in den Hauptrollen, der auf Thrillerstoffe spezialisierte Harry Thürk als Drehbuchautor und mit dem ungarischen Regisseur János Veiczi sogar etwas internationales Flair: Die Verfilmung von Horst Hesses Spionageabenteuer war einer der größten Kassenschlager der DDR-Geschichte. Zwei Millionen Zuschauer hatte der Film, der im Juli 1963 uraufgeführt wurde.
Im Westen war der englische Geheimagent James Bond gerade auf der Jagd nach Dr. No, in der DDR konnten die Zuschauer nun mit einem Geheimagenten eigener Prägung fiebern. Dass sich Drehbuchautor Thürk zahlreiche dichterische Freiheiten genommen hatte, störte niemanden. So wurde der Filmtitel „For Eyes Only“ - angeblich die US-Einstufung „streng geheim“ - in der DDR für ein Zitat des echten Begriffes des US-Militärs gehalten. Das kennt aber keine solche Einstufung. (stk)
Eine Rolle, für die der gelernte Feinmechaniker aus den Magdeburger Kruppwerken vom Schicksal eigentlich nicht vorgesehen ist. Schwer verwundet aus dem Krieg in Nordafrika zurückgekehrt, meldet er sich freiwillig zum Polizeidienst, um „Diebe, Schieber und Schmuggler“ zu jagen, wie er später erzählen wird. Er tritt in die SED ein, er ist überzeugt vom neuen System. Doch das will ihn nicht: Weil Horst Hesse in britischer Kriegsgefangenschaft gesessen hat, gilt er als unzuverlässig und muss den Polizeidienst quittieren.
Wenig später schon erreicht ihn ein Brief eines ehemaligen Nachbarn. Der lebt in Westberlin und lädt Horst Hesse zu einem Besuch ein - obwohl sich beide Männer privat nie sehr nahegestanden hatten. Der misstrauische Ex-Polizist in Hesse riecht sofort Lunte. Er fährt nicht nach Berlin. Er geht zum MfS.
Es ist der Anfang eines neuen Lebens, denn der 29-Jährige verlässt die Genossen von der Staatssicherheit als geheimer Mitarbeiter „Jürgen“, ausgestattet mit dem geheimen Arbeitsauftrag „in die Schulen und Zentren von Spionage- und Diversionsorganisationen zwecks Aufdeckung der Pläne und Absichten des Feindes“ einzudringen.
Hesse wird zum klassischen Doppelagenten
Ein Amateur im kalten Krieg der Geheimdienstprofis, wie der Autor Peter Böhm in seinem aufwendig recherchierten Buch „For Eyes Only: Die wahre Geschichte des Agenten Horst Hesse“ schreibt. Aber ein Naturtalent: Nur ein paar Stunden und ein paar Flaschen Schnaps später unterschreibt der Stasi-Agent „Jürgen“ eine Verpflichtungserklärung als US-Spion „Luchs“. Horst Hesse ist nun ein klassischer Doppelagent.
Der bekommt bei weiteren Besuchen in Westberlin beigebracht, was er brauchen wird, um sowjetische Truppenbewegungen in der DDR zu beobachten und zu analysieren. Funken, Schreiben mit unsichtbarer Tinte, Tarnregeln und das Erkennen sowjetischer Panzer, Transporter, Lafetten - Hesse soll aus seiner Magdeburger Wohnung in Bahnhofsnähe berichten, welche Truppentransporte mit welchen Waffen wann wohin fahren.
Hesse wird gezielt enttarnt
Der „Luchs“ liefert zuverlässig. Allerdings immer in Absprache mit der Staatssicherheit. So ein guter Mann fällt auf. Der Chef der MID-Residentur in Würzburg, Major John C. Walker, wird neugierig. Und nun schmiedet die Stasi einen Plan, Horst Hesse näher heranzubringen an den Feind. Mit einem Einbruch nebst Datendiebstahl in der Wohnung seines Führungsoffiziers wird der Magdeburger gezielt enttarnt. Sein Agentenführer selbst rät ihm, nicht mehr in die DDR zurückzukehren.
Der Stasi-Plan geht auf. Hesse geht nach Würzburg, ins Auge des Orkans. Seine Familie glaubt, er habe sie im Stich gelassen. Seine Kollegen, Nachbarn und Freunde halten ihn für einen Verräter, offiziell ist Hesse ein Republikflüchtling. Die Polizei durchsucht seine Magdeburger Wohnung, er wird zur Fahndung ausgeschrieben; Kollegen werden befragt.
Beim MID gilt Hesse als echt und glaubwürdig. Der Magdeburger erhält eine neue Identität, er heißt jetzt „Horst Berger“. Und er macht Karriere, kontrolliert erst Post aus der DDR, schreibt Analysen und Berichte, wirbt Agenten an und ist bald sogar für die Sicherheit der MID-Außenstelle zuständig.
In der DDR ein Held, in den USA zum Tode verurteilt
In Wirklichkeit aber bleibt Hesse dem MfS treu. Über seine inzwischen eingeweihte Frau Ruth erhält er Anweisungen, an die er sich hält, selbst wenn sie ihm nicht gefallen. Als der MID beschließt, seinem tollen neuen Mitarbeiter eine Karriere in den USA anzubieten, ist Horst Hesse zwar dafür. Die Stasi aber will lieber gleich ein bisschen Erfolg als irgendwann später einen größeren. Am 20. Mai 1956 stiehlt Horst Hesse gemeinsam mit einem anderen Stasi-Agenten zwei Tresore aus dem MID-Hauptquartier. Über den Grenzübergang Marienborn gelangen die geheimen Papiere sehr viel unspektakulärer als im Kinofilm in die DDR. In den Tagen danach verhaften die DDR-Behörden 137 MID-Mitarbeiter.
Im Gegenzug wird Horst Hesse später von den Amerikanern in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In der DDR wird er als Held gefeiert. Allerdings wird immer nur die halbe Geschichte erzählt: Hesse gilt als abtrünniger US-Agent. Dass er von Anfang an für das MfS gearbeitet hat, bleibt vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. (mz)
