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James Blunt James Blunt: Totenkopf und Schmetterling

Von Andreas Hillger 26.10.2007, 20:19

Halle/MZ. - Und wenig später - als man den Ohrwurm schon nicht mehr hören konnte, weil er in die Niederungen der Kaufhaus-Beschallung und der Handy-Klingeltöne abgesunken war - kannte man auch die Story des traurigen Sängers.

Und die geht so: James Hillier Blount, 1974 in Tidworth geboren, stammt aus einer alten Soldatenfamilie. Sein Stipendium an der Bristol University bezahlte die Armee, danach besuchte er die Elite-Akademie in Sandhurst und trat in die britische Leibgarde ein. Dass seine Biografie den Kfor-Einsatz im Kosovo ebenso wie den Dienst als Sargträger bei der Beisetzung von Queen Mum verzeichnet, mag man als morbiden Zug vermerken. Für das Verständnis der Songs, die Captain Blunt nach dem Abschied ins Zivilleben veröffentlichte, ist dies nicht ohne Bedeutung.

Schon jene erste CD, von der weltweit mehr als 5,6 Millionen Exemplare verkauft wurden und die in elf Ländern Nummer-Eins-Status erreichte, versammelte Schlüsseltexte wie "No Bravery". Die Videos zeigten Blunt als Geisel und als Mittelpunkt einer Beerdigung in der Wüste, als Klippenspringer und als Flüchtling vor der eigenen Identität. Selbst wenn er es dabei belassen hätte, wäre genug Rätsel-Futter für die Fans verfügbar.

Für die Verächter dieser Kost war es mehr als genug: Das "Weinerle", wie ihn ein großes süddeutsches Feuilleton nannte, sang sich mit "You're beautiful" und "High" auch an die Spitze aller Hassparaden. Dass er rein optisch in jeder besseren Brit-Pop-Band willkommen sein müsste und deren Herz-auf-Zunge-Prinzip akustisch lediglich auf die Spitze treibt, dürfte die Wut noch gesteigert haben. Denn nichts hasst die vermeintliche Avantgarde so sehr wie jenen, der ihre Codes für den Mainstream übersetzt.

Auf seinem neuen Album "All the Lost Souls" treibt Blunt, der in der Zwischenzeit vor allem als party-lüsternes Mitglied der Jet-Set-Szene um Paris Hilton, Lindsay Lohan und Ellen DeGeneres Schlahgzeilen machte, seinen Flirt mit der Trauer dennoch unbeirrt weiter. Bereits das Cover - ein aus mehr als 1 300 Porträtfotos zusammengesetztes Multi-Picture, hinter dem der Schattenriss des Sängers aufscheint - wird zum Programm erhoben: Das Booklet zeigt in der gleichen Puzzle-Manier Totenkopf, Friedenstaube und Schmetterling.

Zwischen diesen Extremen bewegen sich auch die zehn Songs, deren musikalische Untermalung meist nur wie ein Geschmacksverstärker für Blunts Stimme wirkt. Selten gibt es originäre Klavier-Läufe und Gitarren-Riffs, fast alles verweist auf und in die Texte. Und die können einem mehrfachen Hören durchaus standhalten - selbst wenn sich die erste Single-Auskopplung "1973" bereits wieder in die Liste der Realtone-Downloads verabschiedet hat.

Denn neben sinistren Liedern wie "Same Mistake", in dem Blunt um "Gründe, aber keine Wahl" bittet und seinen Personalstil bitter-ironisch als "Schrei auf dem Gipfel meiner Stimme" beschreibt, gibt es auch desillusionierte Innenansichten aus dem Dasein eines Stars: "Eines Tages wirst du hoffen, dir dein Grab geschaufelt zu haben / bevor die Zeitungen entscheiden, dich dorthin zu schicken". Da versucht einer, die Deutungshoheit über Leben und Karriere zurückzugewinnen - und ist nach "Schiffsladungen von Drogen" zugleich zynisch genug, um die Gesetz zu seinen Gunsten zu nutzen: "Denn, Annie, du bist berühmt / weil ich von dir singe". Ein Dilemma? Gewiss - aber so verführerisch verpackt, dass James Blunt Liebe und Hass zu gleichen Teilen zufliegen werden.