Jakob Arjounis Jakob Arjounis: Allein gegen Neonazis

Berlin/dpa. - Rick wäre gern wie Cherryman. Wenn es gefährlichwird, verwandelt sich der von ihm erfundene Comic-Held in einenKirschbaum. Nahen Feinde, werden sie von Cherrymans Ästen verdroschenund gewürgt, giftige Früchte und in die Münder der Gegnereindringende Blätter erledigen den Rest.
«Cherryman jagt Mr. White» heißt der neue Roman vonBestsellerautor Jakob Arjouni («Happy birthday, Türke!»). Schauplatzist das fiktive brandenburgische Dorf Storlitz. Der 18-jährige Rickist dort ein Außenseiter. Er will nichts mit den im Ortherumlungernden, Bier trinkenden Jungs mit den rechtsextremistischenAnsichten zu tun haben. Das gefällt der Neonazi-Bande nicht. RicksKatze ist das erste Opfer. Am Ende kämpft Rick um sein eigenes Leben.
«Beeindruckend trostlos und misstrauisch» empfindet der 46-jährigeArjouni die Stimmung in manchen brandenburgischen Dörfern.«Aggression liegt in der Luft. Das heißt nicht, dass einem da dauerndetwas passiert. Aber es könnte etwas passieren», sagt der Autor imInterview mit der Nachrichtenagentur dpa.
Rick will raus aus Storlitz. Eine Stelle als Gärtnerlehrling istsein Traum - und plötzlich scheint sein Ziel auch in greifbare Nähegerückt. Doch dafür muss er sich mit dem Quallenwesen Mr. Whiteeinlassen - einem schmierigen Neonazi mit besten Kontakten bis nachBerlin.
Dass die Geschichte nicht gut ausgeht, erfährt der Leser schon aufder ersten Seite. In Briefen an den Kriminalpsychologen Doktor Laytonberichtet Rick vom Gefängnis aus, was ihm widerfahren ist - und ererzählt auch von dem, was er selbst seinen Feinden angetan hat.
Rick bewertet nichts, entschuldigt nichts. Er erzählt einfach, waser erlebt hat. Das ist die Stärke von Arjounis Erzählweise.Entwicklungsroman, Thriller, Gesellschaftskritik - «Cherryman jagtMr. White» ist alles gleichzeitig. Die Geschichte mit demsympathischen Anti-Helden zieht den Leser vom ersten Augenblick an inihren Bann. Zum Schluss befindet man sich dennoch in einemmoralischen Dilemma. Denn Rick wird selbst zum Täter. Dabei wollte ernur seinem tristen Dorf entfliehen und am liebsten Comiczeichnerwerden.
Arjouni weiß, was es heißt, auf dem Dorf aufzuwachsen. «MeineMutter stammt aus Belzig in Brandenburg. Als ich Kind war, sind wirzu DDR-Zeiten zur Oma dorthin gefahren», erzählt der Schriftsteller.«Das war nicht schön. Wenn man als Kind dort nicht dazugehörte unddas auch noch als Westler, dann war es schwierig. Dorfgemeinschaftensind in ihren Eingrenzungs-, aber vor allem Ausgrenzungssystemenbrutal», so Arjouni.
«Da ist es klein und überschaubar, jeder kennt jeden, dort kannstdu nicht wegtauchen. Das hat nichts mit dem Osten zu tun. Als Kindbin ich auch in einem Dorf in Westdeutschland aufgewachsen. DieseSysteme kenne ich von da wie dort», sagt der in Frankfurt am Maingeborene Arjouni. «Ich erzähle in meinen Büchern regelmäßig vonMenschen, die in Entscheidungssituationen kommen, in denen es nichtmehr Gut und Böse gibt, sondern eigentlich nur noch Schlecht und nochSchlechter.»
Arjounis Krimi-Erstling «Happy birthday, Türke!» wurde von DorisDörrie verfilmt. Drei weitere Romane um den Frankfurter DetektivKemal Kayankaya sowie Romane wie «Magic Hoffmann» und «Hausaufgaben»folgten. Zuletzt begeisterte Arjouni Kritik und Leser mit dem inBerlin spielenden Schelmenstück «Der heilige Eddy». Nach Jahren inFrankreich ist der dreifache Vater mit seiner Familie gerade wiedernach Berlin gezogen, wo er bereits während des Studiums lebte.
Jakob Arjouni: Cherryman jagt Mr. White; Diogenes Verlag, Zürich, 176 S., Euro19,90, ISBN 978-3-257-06755-2