Interview Interview: Wirkung ist «fruchtbares Missverständnis»
Essen/dpa. - Die Wirkung Vincent van Goghs (1853-1890) auf die Malerei der Moderne beruht nach Auffassung des Essener Kunsthistorikers Georg W. Költzsch auf einem «fruchtbaren Missverständnis». Er glaube, «dass die späteren Künstler des Expressionismus van Gogh gar nicht richtig verstanden haben», sagte der Experte in einem dpa-Gespräch. Allerdings habe der Maler «einer jungen Generation von Künstlern die Zunge gelöst, die dann eine neue Sprache in der Kunst gefunden haben». Költzsch hatte 1990 als damaliger Direktor des Essener Folkwang-Museums eine international beachtete und von rund 500 000 Gästen besuchte Ausstellung über «Van Gogh und die Moderne» gezeigt.
Das Werk van Goghs sei zwar seinen Künstler-Zeitgenossen durchaus bekannt gewesen, habe aber bis etwa 1905 «eigentlich gar keine Resonanz gehabt», meinte der Kunsthistoriker. Nur etwa ein halbes Jahrzehnt lang hätten sich dann die französischen Maler der Fauves für ihre starkfarbigen Bilder und die deutschen Expressionisten aus dem Oeuvre des heute so hoch bewerteten Niederländers «das herausgesucht, was sie für wichtig hielten», meinte Költzsch.
Anders als von den Expressionisten eingeschätzt, sei van Gogh «ein sehr disziplinierter Maler» gewesen, der trotz seines «aufgewühlten Pinselduktus» keineswegs voller Spontaneität gewesen sei. Vielmehr habe er seine Bilder mit vorherigen Zeichnungen gründlich vorbereitet, erklärt der Kunsthistoriker.
Außerdem liege dem Werk van Goghs, für den die Kunst ein Trost bedeutet habe, eine grundsätzlich andere Betrachtung der Natur zu Grunde: «Er hat in die Natur hinein gehört und ihr eigenes Leben entdeckt, die Expressionisten entdeckten sich in der Natur.» So scheine «uns heute noch van Goghs rotierende Sonne schreiender zu sein, als er sie selbst gemeint hat», meinte Költzsch. Während die Expressionisten in ihren Bildern «alles destabilisierten», habe van Gogh «der Welt nicht den Boden unter den Füssen weggezogen, durch seine Bilder kann man gehen».
Allerdings habe van Gogh wie Gauguin und Cezanne die mit dem Impressionismus beginnende «Befreiung der Farbe» vorangetrieben. Das «Bild als Bühne» und potenziell unendlicher Raum wie in der alten Kunst existiere nun nicht mehr; die Farbe schaffe die Räumlichkeit und «das Bild ist nichts anderes mehr als eine Leinwand». Für die Kunstfreunde der Gegenwart erscheine van Gogh auch deswegen so expressiv, «da wir immer an sein Lebensdrama denken».