Interview mit Pianist Martin Herzberg Interview mit Pianist Martin Herzberg: "Ich laufe unter dem Radar"

Halle (Saale) - Knapp 100.000 monatliche Hörer beim Streamingdienst Spotify, fünf veröffentlichte Alben und einen Doktortitel in Musikwissenschaft: Martin Herzberg hat mit seinen 38 Jahren viel erreicht. Seine Tour „Liebe & Tasten“ führt den Pianisten unter anderem am 29. Juni in den Volkspark nach Halle. Warum er „unter dem Radar“ läuft und trotzdem so viel Zuspruch bekommt, erklärt er MZ-Redakteurin Jessica Quick.
Herr Herzberg, Sie sind ein Musiker ohne Label, das ist ungewöhnlich.
Martin Herzberg: Ich hatte noch nie eine Plattenfirma. Ich habe von Grund auf alles selbst aufgebaut. Trotzdem ist 2001 mein erstes Album erschienen. Da war ich gerade mal 20 Jahre alt. Was ich immer im Rücken hatte, war das Internet. Das Netz hat sich als optimales Medium für Musik entwickelt. Ein Label ist sicherlich ein guter Partner, aber heutzutage braucht man es nicht mehr. Meine Bekanntheit hat sich durch das Internet entwickelt. So konnte ich unter dem Radar laufen und habe meine Musik zum Beruf gemacht.
Unter dem Radar? Wie meinen Sie das?
Herzberg: Ich habe mit acht Jahren angefangen, Geige zu spielen - zehn Jahre lang, um dann festzustellen, dass man mit der Geige keine Songs schreiben kann. Sie ist ein Melodie-Instrument.
Ich habe schon immer gern Filmmusik gehört, auch weil mich das Klavier viel stärker berührt. Es war der Pianist George Winston und sein Album „December“, weswegen ich angefangen habe, Klavier zu spielen und die ersten Songs aufzunehmen - da war ich 18 Jahre alt. Überall im Internet habe ich meine Kompositionen hochgeladen, die dort ganz viele Leute entdeckt haben. Damals gab es noch MySpace - und natürlich YouTube. Unter dem Radar, damit meine ich, dass im Internet immer mehr Menschen über meine Musik gestolpert sind. Aber in den Printmedien oder im Fernsehen habe ich nicht stattgefunden. Das ist eine andere Form von Bekanntheit.
Und die Zugriffe haben Ihnen gezeigt, dass die Leute Sie mögen?
Herzberg: Ja. Über die Tatsache, dass extrem viele Leute meine Musik angeklickt und Kommentare geschrieben haben, habe ich gemerkt, dass meine Idee funktioniert. Und ich dachte: Mach’ was mit denen! Denn die Interaktion hat tatsächlich auch etwas mit mir gemacht. Diese Resonanz gab mir Selbstbewusstsein. Mehr als zehn Jahre nach meinem ersten Album - 2012 - gab ich dann mein erstes Konzert.
Was passierte in der Zwischenzeit?
Herzberg: In diesen zehn Jahren habe ich Musik studiert. Eigentlich nur, weil ich mich nicht auf die Bühne getraut habe. Mein Studium war eine große Prokrastination und Selbstfindung. In der Musikwissenschaft redet man über Musik und schreibt über Musik. Aber man macht keine Musik! Das Studium war sozusagen ein Aufschieben, weil ich nicht geglaubt hatte, mit Musik Geld verdienen zu können. Ich kannte auch niemanden, der das konnte. Zu der Zeit wurde mir von überall empfohlen: Mach’ etwas Solides, mach’ eine Ausbildung!
Heute ist das ganz anders. Heute trauen sich viel mehr Musiker auch ohne Ausbildung in die Musikszene. Sie wissen, was möglich ist, denn es gibt jetzt das Internet.
Und heute stehen Sie als Profimusiker in Lohn und Brot?
Herzberg: Richtig. Und das Schöne ist, dass ich mir durch das Internet eine Fangemeinde erarbeitet habe, die - meiner Meinung nach - meinen Job zu dem sichersten macht, den man haben kann. So sicher wie ein Beamten-Job. Das ist ein bisschen provokant gesagt, aber solange das Internet nicht zusammenstürzt, kann man ja seine Fans erreichen. Sie kommen zu Konzerten und kaufen CDs oder Noten. Warum sollte sich das ändern?
Vielleicht weil Fans einen anderen Musikgeschmack entwickeln können?
Herzberg: Ja, aber man selbst entwickelt sich ja auch weiter. Klaviermusik ist wunderbar zeitlos. Ich habe das Gefühl, sie funktioniert immer. Vielleicht habe ich aber auch gerade Glück, Musik zu machen, die gerade stark unserem Zeitgeist entspricht. Viele sehnen sich danach runterzukommen. Wir alle leben gefühlt in einer permanenten Überforderung.
Und Ihre Musik ist das Medikament dagegen?
Herzberg: Meine Musik soll dazu einladen, die Zeit zu vergessen, sich zurückzulehnen und innezuhalten. Man könnte sie als eine große Entspannungsübung sehen, bei der das Klavier im Mittelpunkt steht - wie bei der Filmmusik.
Apropos: Ludovico Einaudi, Max Richter, Yann Tiersen - das sind Künstler, die Ihnen musikalisch ähnlich sind. Und alle haben auch schon Filmmusik gemacht. Gibt es da einen Zusammenhang?
Herzberg: Wenn man diese Art der Musik schreibt, dann hat man Bilder im Kopf. Und ich glaube, das hat zwangsläufig zur Folge, dass bei den Menschen, die die Musik hören, auch Bilder im Kopf entstehen. Es ist so eine süße Melancholie, die besonders gut in Filme passt.
... und die sehr nachgefragt scheint. Ludovico Einaudi hat die Leipziger Arena gefüllt. „Die Welt“ schreibt von Neoklassik als Mega-Trend ...
Herzberg: Wobei mir der Begriff „Neoklassik“ nicht so gut gefällt. „Mood-Piano“ trifft es besser. Diese Art von Musik gab es schon in den 80er Jahren, bei George Winston etwa. Sie war nur noch nicht so verbreitet. Das Internet hat sie heute groß gemacht.
Deswegen muss ich Sie nicht fragen, ob der Streamingdienst Spotify für Sie Fluch oder Segen ist.
Herzberg: Für mich natürlich Segen. Fakt ist: Seit der Entstehung unseres Planeten ist es so, dass Dinge sich verändern. Sie kommen und gehen - auch in der Musikwelt. Jetzt ist es gerade das Streaming - eine große Möglichkeit, um unheimlich viele Menschen zu erreichen. Ich finde das super.
Dagegen werden immer Menschen geradezu süchtig nach dem Handy.
Herzberg: Das Smartphone ist wohl der bisherige Gipfel der Entwicklung. Das Bedürfnis nach Entschleunigung ist unheimlich stark geworden. Die Leute interessieren sich viel mehr für Yoga und so, weil sie nach Lösungen suchen, wie man dem entgegenwirken kann. Und eine Lösung ist für sie Klaviermusik. Übrigens gucke ich selbst viel zu oft auf den Bildschirm.
Und wie helfen Sie sich dann? Mit Ihrer Musik?
Herzberg: Ich mache alle Bildschirme aus, denn die lenken uns am meisten ab. Aber ja, ich höre auch meine eigenen Kompositionen. Daneben gibt aber so viel schöne andere Musik.
Kritiker sagen, Neoklassik oder Mood-Piano sei wenig anspruchsvoll. Stört Sie das?
Herzberg: Ehrlich gesagt berührt mich das gar nicht. Mich interessiert nicht, ob jemand meine Musik anspruchsvoll findet oder nicht. Menschen sollen sich für einen bestimmten Moment gut fühlen. Wie dieses Gefühl entsteht, spielt keine Rolle. Meine Musik hat überhaupt gar keinen intellektuellen Anspruch. Wenn nach dem Konzert Fans zu mir kommen und sagen, es war einer der schönsten Momente, die sie erlebt haben, dann ist es mir egal, ob ich diesen Moment mit einem, zwei Tönen oder was auch immer geschaffen habe.
Martin Herzberg spielt unter anderem am 29. Juni, 19 Uhr, in Halle (Volkspark), am 4. August in Berlin (Open Air in der Kulturbrauerei) und am 12. Dezember in Leipzig (Kupfersaal), Tickets bei Tim Ticket unter 0345/565 56 00, (mz)
Weitere Informationen unter: www.martinherzberg.com