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Interview mit Irving Wolther alias Dr. Eurovision Interview mit Irving Wolther alias Dr. Eurovision: "Guter Mainstream reicht einfach nicht"

Von Thorsten Keller 25.05.2015, 14:43
Ann Sophie während des Debakels in Wien...
Ann Sophie während des Debakels in Wien... dpa Lizenz

Herr Wolther, Ann-Sophie und der ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber sagen, sie könnten die deutsche Blamage beim ESC „überhaupt nicht nachvollziehen“. Woran hat es Ihrer Meinung nach gelegen?

Irving Wolther: Es schneiden beim ESC nicht die schlechtesten Beiträge schlecht ab, sondern die unauffälligsten. Ann-Sophies Auftritt war sicher routiniert, und der deutsche Beitrag „Black Smoke“ war guter Mainstream, aber guter Mainstream alleine reicht eben nicht. Der Song Contest ist kein bebildertes Radioprogramm, sondern eine Show, bei der man um die Aufmerksamkeit der Zuschauer buhlt.

Die ARD ist, seit sie die Zusammenarbeit mit Stefan Raab und Pro Sieben aufgekündigt hat, dreimal in Folge auf die Nase gefallen. Kann das so weitergehen, oder ist der deutsche Vorentscheid der Kern des Problems? 

Irving Wolther: Grundsätzlich wird in solchen Situationen gerne nach Stefan Raab gerufen. Aber er kann, trotz aller Erfolge in der Vergangenheit, auf Dauer nicht die Lösung des deutschen Song-Contest-Dilemmas sein. Der Vorentscheid ist seiner jetzigen Form ist nicht genug darauf ausgerichtet, neue, talentierte Leute auszuwählen. Sinnvoll wäre eine Orientierung am schwedischen Konzept. Beim Melodifestivalen wird das Publikum viel stärker mobilisiert durch mehrere Vorrunden in verschiedenen Teilen des Landes. Die Identifikation der Zuschauer mit den Teilnehmern ist entsprechend groß.

Außer Deutschland sind auch Frankreich, Großbritannien und Spanien wieder weit hinten gelandet – alles Länder, die fürs Finale automatisch gesetzt sind. Lässt sich das noch rechtfertigen, wenn die so genannten Big Five regelmäßig keine konkurrenzfähige Beiträge zum ESC schicken?

Irving Wolther: Die Big-Five-Regelung ist für die Akzeptanz beim nationalen Publikum kontraproduktiv, weil die Leute nicht gerne mit ansehen, wie ihr Lied beim Song Contest abschmiert. Aber die Veranstalter haben das klare Interesse, die Zuschauer aus den bevölkerungsreichsten Ländern Europas an den Song Contest zu binden. Wenn der britische oder deutsche Beitrag es gar nicht ins Finale schafft, wäre das verheerend für die Einschaltquoten. Letztlich muss ein Umdenken bei den nationalen Fernsehanstalten stattfinden, was ihren Willen angeht, am Wettbewerb tatsächlich erfolgreich teilzunehmen. Diesen Willen sehe ich weder in Großbritannien noch in Frankreich. Spanien hat sich diesmal immerhin Mühe gegeben.

ZUR PERSON

Irving Wolther (alias "Dr. Eurovision"), 45, Sprach- und Kulturwissenschaftler, verfolgt den ESC seit vielen Jahren. 2006 schrieb er seine Doktorarbeit über den Eurovision Song Contest, im Sommer erscheint sein neues Buch „Die ganze Welt des Song Contest“.