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Interview Interview: «Kein Jude rettet die FDP»

28.05.2002, 20:07
Henryk M. Broder äußert sich neben anderen Geisteswissenschaftlern zum Krieg im Nahen Osten. (Foto: dpa)
Henryk M. Broder äußert sich neben anderen Geisteswissenschaftlern zum Krieg im Nahen Osten. (Foto: dpa) dpa/zb

Berlin/MZ. - Herr Broder, Guido Westerwelle reist geradedurch den Nahen Osten. Was hat er dort zusuchen?

Broder: Gute Frage, ich weiß es auchnicht. Es ist, erstens, keine Domäne der FDP,Außenpolitik zu machen, und, zweitens, istes keine Domäne der Deutschen, sich um IsraelSorgen zu machen - ganz so, als ob es hierkeine hausgemachten Probleme gäbe. Ich habediese Umfrage gelesen, derzufolge 60 Prozentder Deutschen meinen, Israel kritisieren zudürfen, können, sollen, wollen - was völligunbestritten ist. Nur frage ich mich: Gibtes außer der Fußballweltmeisterschaft nochein zweites Grundbedürfnis der Deutschen,nämlich das, Israel kritisieren zu müssen?

Haben Sie Bilder von Westerwelles Auftrittin Nahost gesehen?

Broder: Ich habe den Auftritt gesehenund auch mit Freunden in Tel Aviv darübergesprochen. Westerwelle wirkte sehr unglücklich.

Westerwelle will einen Vermittler ausIsrael gewinnen.

Broder: Das finde ich unglaublich.Die ganze Geschichte läuft nach klassischenantisemitischen Stereotypen ab. Erst hautman auf die Juden drauf, und dann bittet mandie Juden, bei der Bewältigung der eigenenProbleme zu helfen.

Wen würden Sie als Vermittler vorschlagen?

Broder: Westerwelle wird keinen Vermittlerin Israel finden. Für einen solchen Elendsjobwird sich keiner zur Verfügung stellen.

Sehen Sie in Deutschland einen?

Broder: Es braucht keinen Vermittler.Ich weiß gar nicht, was vermittelt werdensoll. Das ist keine Frage von Pro und Contra,von Aktion oder Reaktion. Die FDP hat sichvöllig verrannt und muss ganz von alleineund ohne jede therapeutische jüdische Hilfevon dieser Palme wieder runterkommen.

Was hat die FDP für ein Problem?

Broder: Die FDP hat das Problem Möllemann.Das Problem, dass offenbar Möllemann alleanderen bei den Eiern hält und so lange drückt,bis es wehtut.

Wer ist Möllemann in Ihren Augen?

Broder: Möllemann ist ein Wichtel.Er ist in der Tat ein authentischer, modernerAntisemit. Einer, der natürlich weder Auschwitznoch den Holocaust rechtfertigt, aber sämtlichenRessentiments gegen die Juden freien Lauflässt.

Wie funktioniert Antisemitismus?

Broder: Es war immer antisemitischeStrategie, einen Popanz aufzubauen, um dannin aller Unschuld sagen zu können: Wir wolltendoch nur darüber reden. Mal war der Popanzdie Ritualmordlegende, mal die Brunnenvergiftung,dann die jüdische Weltherrschaft. Und dannwurden die Juden von den Antisemiten stetsauch noch dazu aufgefordert, sich bei denAntisemiten dafür zu entschuldigen, dass siesich zur Wehr gesetzt haben.
Der Text wurde gekürzt. Die vollständige Fassung lesen Sie in der Druckausgabe der Mitteldeutschen Zeitung vom 29. Mai 2002.