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Internationale Pressestimmen zu Griechenland Internationale Pressestimmen zu Griechenland: "Merkel wollte Tsipras' politische Vernichtung"

14.07.2015, 08:20
Entet europaweit teilweise vernichtende Kritik: Angela Merkel.
Entet europaweit teilweise vernichtende Kritik: Angela Merkel. dpa Lizenz

Köln - Die „New York Times“ kritisiert am Dienstag die Einigung der EU im Schuldenstreit als schädlich für Griechenland: „Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich am meisten für die europäische Einheit einsetzen sollte, erklärte nach der Einigung, diese habe mehr Vorteile als Nachteile. Eins der Vorteile ist, dass man damit etwas Zeit kauft. Doch wenn diese Zeit nicht genutzt wird, um darüber zu reden, wie man die griechischen Schulden wirklich abbauen kann und die erstarrte Wirtschaft zu neuem Leben erweckt, wird es nicht lange dauern, bis die Führung der Eurozone abermals in eine quälende Debatte darüber geraten wird, was zu tun ist. Deutschland und seine Verbündeten haben harte Verhandlungen geführt. Aber dadurch, dass sie Griechenland zum Einlenken gezwungen haben, haben sie weder die Krise der Währungsunion gelöst noch das europäische Projekt vorangetrieben.“

Zum Kompromiss in der griechischen Schuldenkrise schreibt die liberale bulgarische Zeitung „Sega“ am Dienstag: „Frankreich war strikt gegen die drohende Vertreibung Griechenlands aus der Eurozone, weil es darin die Wiedergeburt des deutschen Diktats in Europa sah - dagegen hat Frankreich einen in der Geschichte verankerten Reaktionsreflex. (.) Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (.) sah allerdings letzten Endes ein, dass sie Sand in den französisch-deutschen Motor gießt, ohne dessen Synchronarbeit die EU einfach zerfallen oder in etwas anderes übergehen würde. Als renommierte Techniker verstanden die Deutschen, was bei unangemessener Benutzung eines Motors geschehen könnte.“

„Schicksal eines verkappten Protektorats“

Die italienische Zeitung „La Repubblica“ schreibt: „Griechenland ist kein unabhängiger Staat mehr. Die Griechen müssen nicht nur zerstörerische wirtschaftliche Opfer ertragen, sondern auch die Demütigung, wie Minderjährige behandelt zu werden. Das Land wird pro forma in Brüssel und Frankfurt, ja eigentlich in Berlin, verwaltet. (...) Das griechische Parlament hat nun die Aufgabe, die Gesetze, die die Eurokraten oder gleich die deutschen und französischen Bürokraten geschrieben haben, in akzeptables Neugriechisch zu übersetzen - unter der Kontrolle, dass sie keine Rechtschreibfehler einbauen. Das ist das Schicksal des verkappten Protektorats.“

Die konservative ungarische Tageszeitung „Magyar Nemzet“ bezeichnet Merkel als lupenreine Populistin: „Tsipras hat sich verkalkuliert, und das nutzen jetzt jene aus, die - zwar ohne es auszusprechen, aber dennoch - vom ersten Augenblick an seine (Tsipras') politische Vernichtung angestrebt haben. Allen voran Deutschland. In Berlin - wo Tsipras in den Medien ausschließlich mit Attributen des Populismus, Marxismus und Rechtsradikalismus bedacht wird - vertritt Angela Merkel in der Griechenlandfrage seit Jahren einen lupenreinen Populismus. (...) Nun gibt es eine Vereinbarung, bei der es nur um die momentane Beruhigung der Märkte geht. Die Tsipras-Regierung kann Luft holen, bis sie sich entschließt, wann sie die Pistole an den eigenen Kopf drückt. Und wenn sich die Waffe entlädt, wird leiser, teilnahmsvoller Beifall aus Berlin dies begleiten. Danach kann die Sintflut kommen, mit oder ohne Grexit, Russland tritt auf den Plan, oder ein anders unerwartetes Drehbuch.“

„Europa zückt wieder die Geldbörse“

Die spanische „El Mundo“ sieht weder Gewinner noch Verlierer: „Es steht außer Frage, dass der Führer von Syriza nicht das erreicht hat, was er wollte. Die Einigung danach zu beurteilen, wer gewonnen und wer verloren hat, wäre aber ein Fehler. Griechenland wird zwar einen neuen Sanierungsprozess in Angriff nehmen und große Opfer aufbringen müssen. Das erzielte Abkommen ist aber viel besser als ein Euro-Austritt, der katastrophale Folgen für das Land gehabt hätte. Das Geschehene muss derweil auch zur Revision der Fundamente der Einheitswährung führen. Bei den Fragen der Vergemeinschaftung der Schulden und einer größeren Steuerharmonie muss man vorwärtskommen, damit sich solche Fälle wie der griechische nicht wiederholen.“

Der niederländische „De Telegraaf“ meint, das Hilfspaket bewahre Griechenland vor „tiefster Armut“: „Europa zückt wieder die Geldbörse: Für Griechenland werden in den kommenden drei Jahren rund 85 Milliarden Euro bereitgestellt. Europa hofft, dass die griechische Wirtschaft endlich in Gang kommt, so dass der nun auf insgesamt rund 400 Milliarden auflaufende Schuldenberg abgetragen werden kann. Aber eigentlich weiß jeder, dass die Hoffnung auf Rückzahlung vergeblich ist. (...) Die Griechenland auferlegten Maßnahmen sind zwar notwendig. Doch niemand sollte glauben, dass sich seine Wirtschaft damit so drastisch verbessert, dass die Schulden einfach beglichen werden könnten. Die neue Milliardenhilfe muss daher als finanzielles Opfer dafür gesehen werden, dass Griechenland vor tiefster Armut bewahrt und im vereinigten Europa gehalten wird. Diese politische Entscheidung hat einen hohen Preis.“

„Vertrauen die Griechen ihrem Staat“

Etwas positiver sieht es die russiche Tageszeitung „Kommersant“: „Fast 17 Stunden dauerte die Krisensitzung in Brüssel. Dann war klar: Griechenland bleibt vorerst in der Eurozone und kann auf ein mehr als 80 Milliarden Euro schweres weiteres Hilfspaket hoffen. Griechenlands Rettung entscheidet sich nun möglicherweise an diesem Mittwoch in Athen. Sie könnte tatsächlich in der Forderungsliste der Gläubiger sowie in der geplanten Steuerreform und einer schlankeren Verwaltung liegen. Wenn alles gelingt, beginnt vielleicht sogar ein Wirtschaftswachstum und ein Ende der gegenwärtigen Rezession. Aber das Hauptproblem bleibt: Vertrauen die Griechen ihrem Staat? In den vergangenen fünf Jahren war davon so gut wie nichts zu sehen.“

Die liberal-konservative Tageszeitung „Berlingske“ aus Dänemark sieht vor allem Griechenland in der Pflicht: „Es ist völlig abwegig, die Behandlung Griechenlands mit der Behandlung zu vergleichen, die Deutschland mit dem Versailles-Frieden nach dem ersten Weltkrieg erfahren hat. Damals ist Deutschland alles genommen worden, und das nährte den Boden für Nazismus und den Zweiten Weltkrieg. Griechenland wird nicht alles genommen, im Gegenteil. Es wird unter Druck gesetzt, das Notwendige zu tun, und es nimmt jede Menge Geld in Empfang, um die Volkswirtschaft in Gang zu bekommen.“ (ccp)