Ingrid Noll Ingrid Noll: «Falsche Zungen» hinter Tüllgardinen
Zürich/dpa. - Und immer wieder gelingt es der Erfolgsautorin, ihre Leser an der Nase herum zu führen. Die Geschichten sind zum Teil höchst amüsant, zum Teil aber auch Rohmaterial, das zu schleifen empfehlenswert gewesen wäre.
Keine der Erzählungen ähnelt der anderen. In der Titelgeschichte etwa belügen sich Mutter und Sohn nach Strich und Faden, legen so lange falsche Fährten, bis diese am Schluss doch in die Wahrheit münden. In der witzigen Geschichte «Stich für Stich» spielt die Phantasie den Lesern bis zum überraschenden Ende einen gewaltigen Streich. Und in «Herr Krebs ist Fisch» bekommt ein lüsterner Lehrer die Quittung für sein Verhalten. Erfrischend auch die etwas anders erzählte Weihnachtsgeschichte «Mariä Stallwirtschaft».
Noll, diese «sehr durchtriebene Idyllikerin» (Dieter Hildebrandt), schrieb erst - wie sie selbst sagt - «jenseits der Wechseljahre» im Alter von 55 Jahren ihren ersten Krimi «Der Hahn ist tot», hatte aber sofort großen Erfolg. Seither legt die 1935 in Shanghai geborene Mutter dreier Kinder etwa alle zwei Jahre einen neuen Roman vor. Ihr Erfolgsrezept klingt einfach. Grundlage, so erzählte sie einmal, sei die Begegnung mit den verschiedendsten Menschen: «Dieses Sammelsurium an Bildern, Gesprächen und Erlebnissen treibe ich durch den literarischen Mixer, mische alles neu und schaffe so die Charaktere meiner Romane.»
Der jetzt veröffentlichte Erzählband enthält neben amüsanten Kurzgeschichten der bewährten Art auch eine Reihe autobiografischer Texte von unterschiedlicher Qualität. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Beiträge zusammengesucht wurden, um die Seiten zu füllen. Sicher hätte es dem Buch gut getan, wenn sich Kurzgeschichten und Anekdoten aus dem Leben der Ingrid Noll nicht in loser Folge abwechselten. Weniger wäre mehr gewesen.
Ingrid Noll
Falsche Zungen
Diogenes Verlag, Zürich
251 S., Euro 18,90
ISBN 3-257-06463-2