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Indiana Jones am Mittelberg

Von Steffen Könau 08.09.2003, 18:49

Naumburg/MZ. - Die Finder sagen gar nichts. Henry W. und Mario R., die die "Himmelsscheibe von Nebra" im Sommer 1999 aus dem Nebraer Mittelberg buddelten, lassen ihre Anwälte zu Prozessbeginn eine Erklärung verlesen. Inhalt: Ja, wir haben die 3 600 Jahre alte Pretiose ausgegraben und verkauft. Aber nein, wir wussten nicht, dass wir das nicht durften.

Der damalige Käufer redet dafür umso mehr. Achim Stadtmüller, der die Scheibe für 32 000 Mark erwarb und erstmal in eine Badewanne voll "Spüli" legte, um den Schmutz zu lösen, schildert am ersten Prozesstag gegen die vier Himmelsscheiben-Finder und -Händler als Zeuge seine Probleme bei der Käufersuche. Niemand wollte das "Ding" haben: "Weil klar war, dass es aus Sachsen-Anhalt stammt."

Denn hier gilt das so genannte Schatzregal, nach dem an das Land fällt, was immer an Wertvollem aus der Erde gegraben wird. Stadtmüller aber wollte seine Investition, inzwischen mit "Akupatz" abgerubbelt, nicht so einfach abschreiben. Ihm fällt Hildegard B. ein, Chefin der Museumsschenke "Historia" im nordrhein-westfälischen Kaartz, einem Treffpunkt der deutschen Schatzsucher - die hatte behauptet, einen Käufer zu kennen.

Der heißt Reinhold S. und sitzt jetzt neben ihr im Amtsgericht Naumburg, wie sie angeklagt der Unterschlagung. S. sieht nicht gerade aus wie ein Grabräuber. Der Realschullehrer im Ruhestand trägt Windjacke, spricht abwägend und ist seit 50 Jahren Hobbyarchäologe. Ehe ihn Hildegard B. anrief, hatte er von der Sternenscheibe nie gehört. "Aber dann wollte ich das natürlich haben." Zu jedem Preis: Um die geforderten 118 000 Euro aufzubringen, beleiht S. seine Rente. "Meine Frau wusste das nicht."

Da schmunzeln auch die beiden Scheiben-Finder eine Bank vor ihm. Ihre Entdeckung, die sie zuerst für einen unnützen Teller halten, hat seitdem ein Rad in Bewegung gesetzt, das LKA-Ermittler, Archäologen und sogar die Schweizer Polizei rotieren lässt. Bis mit der Festnahme von Reinhold S. und Hildegard B. in Basel einer internationalen Grabräuberbande das Handwerk gelegt scheint.

Seit Montag aber wackelt dieses Bild. Geständig sind alle, aber Schuld will niemand haben. Hildegard B. eine raumeinnehmende Frau, will die Scheibe nur an ihren Bekannten Rudolf S. vermittelt haben, um einen Verkauf ins Ausland zu verhindern. "Die Scheibe musste Deutschland erhalten bleiben", ruft sie. S. wiederum hat, sagt er, geplant, die Scheibe zu stiften. "Dass ich die nicht behalten kann, war klar." Dem Weiterverkauf habe er nur zugestimmt, weil das Angebot des Landesarchäologen Harald Meller so unwiderstehlich war: "350 000 Euro, da wäre die Rente wieder sicher gewesen."

Es ist ein verwirrendes Knäuel an Fakten und Fiktionen, das Amtsrichter Manfred Stötter zu entwirren hat. Wer hat wann vom Schatzregal gewusst? Warum lockte Landesarchäologe Harald Meller die Scheiben-Verkäufer eigens nach Basel, um sie verhaften zu lassen? Weshalb lud sein Vorgänger Fröhlich den käufersuchenden Stadtmüller mit den Worten ein: "Kommen Sie her, ich lasse Sie festnehmen!" Warum gab Rudolf S. dem vermeintlichen Käufer Meller seine Kontonummer zur Überweisung des Kaufpreises, wenn er wusste, dass ein Verkauf strafbar ist, wie Staatsanwältin Eva Vogel glaubt? Ein Puzzlespiel um den Bronzeteller, das an die bizarren Abenteuer des Action-Archäologen Indiana Jones erinnert. Die jüngere Geschichte der Himmelsscheibe ist voller Treffs in Hinterzimmern, geheimen Absprachen und echten Landkarten mit falschen Markierungen.

Stadtmüller, der einzige im Saal, der die Himmelsscheibe einmal kaufte und einmal verkaufte, steht nach Akzeptieren eines Strafbefehls nicht mehr unter Anklage. Rudolf S., der bei seinem Ausflug in die Schatzsuche per Scheckheft alles verlor, schon. "Das ist zumindest seltsam", merkt sein Anwalt Werner Schütte an. Am Mittwoch wird Landesarchäologe Harald Meller aussagen.