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Kalter Hauch von Stalinzeit "In Zeiten des abnehmenden Lichts" im neuen theater Halle

Von Andreas Montag 28.01.2019, 11:00
Familie Umnitzer in Unruhe, v. l.: Peter W. Bachmann, Cynthia Cosima Erhardt , Nils Thorben Bartling, Nicoline Schubert
Familie Umnitzer in Unruhe, v. l.: Peter W. Bachmann, Cynthia Cosima Erhardt , Nils Thorben Bartling, Nicoline Schubert Falk Wenzel

Halle (Saale) - Erinnern ist Arbeit. Und kann auch entsprechend schmerzhaft sein. Das gehört dazu. Eugen Ruges preisgekrönter Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ erzählt davon. Auch der nach dessen Vorlage entstandene, gleichnamige Spielfilm von Matti Geschonneck will das zeigen. Aber er verliert in seiner wohlmeinenden Poetisierung der Figuren an der notwendigen Schärfe des Blicks auf den Stalinismus - und darauf, was dieser aus den Menschen gemacht hat.

Auf der Bühne des neuen theaters in Halle, wo die von dem Gastregisseur Tobias Wellemeyer selbst erstellte Spielfassung des Stoffes jetzt erfolgreich Premiere hatte, wird hingegen nichts beschönigt. Bühnenbildner Alexander Wolf stellt die Akteure und ihre Erinnerungen in einen symbolträchtigen, transparenten Käfig aus Stahlgittern.

Gespielt wird in der Mitte des Saales, beidseits des gestreckten Parcours sitzt das Publikum. In dieser technisch begründeten Teilung kann man aber zugleich eine Botschaft erkennen, die schon dem Roman als Subtext mitgegeben ist: Das Wissen um die Dramen jüngerer Zeitgeschichte ist kein Gemeingut. Viele der Ostdeutschen, erst recht der Westdeutschen und die Nachgeborenen sowieso wissen wenig oder nichts mehr über Mythen und Wahrheit des Kommunismus. Und manche halten es sogar für überflüssig, sich damit zu beschäftigen.

Der Abend im neuen theater, kompakte, pausenlose zwei Stunden lang, gibt dem Nachhall der getöteten, verratenen Träume einen Raum. Ganz ohne Sentimentalität, aber mit größter Aufmerksamkeit und Gerechtigkeit gegenüber jenen, die verletzt haben und verletzt wurden in einem System, das die Idee der Menschlichkeit fraß wie die Häftlinge in den Straflagern das karg bemessene, klitschige Brot.

Starkes Theater-Ensemble glänzt

Erzähler und Hauptfigur ist Alexander Umnitzer, souverän und überaus glaubwürdig über alle der verschränkten Zeitebenen gespielt von Nils Thorben Bartling. Er führt durch das Familienalbum. Bild für Bild, Szene für Szene wird das Personal plastischer. Da ist Kurt, Alexanders Vater, einer der furchtbar treuen, tief verzweifelten Parteisoldaten aus DDR-Tagen. Selbst ein Opfer der Stalinschen „Säuberungen“, wird er später schweigen und widerstrebend den Arm heben, als ein aufmüpfiger Genosse ausgeschlossen werden soll.

Inszenierung von Tobias Wellenmeyer überzeugt

Peter W. Bachmann, der in Halle schon viele große Rollen gespielt hat, oft auch mit seinem komischen Talent glänzte, tritt einem wie verwandelt entgegen. Sieht man ihn als hilflosen, dementen Greis, der nur noch fressen, nichts als fressen kann, wie sein Sohn ihm vorhält, wird man Mitgefühl empfinden und den Zorn des Sohnes dennoch verstehen. Bachmanns Leistung wird lange in Erinnerung bleiben.

Nicht minder stark das übrige Ensemble: Nicoline Schubert als Irina, Alexanders schöne, verzweifelte Mutter, die dem Alkohol verfällt. Cornelia Heyse als Charlotte, die Großmutter - um ihre Freiheit gebracht auch sie, weil sie sich für das Funktionieren entschied. Hilmar Eichhorn als Wilhelm, Charlottes Mann, der mit Orden behängte alte Haudegen, der auch mit 90 Jahren noch Gefährlichkeit ausstrahlt. Und Barbara Trommer als lebenskluge russische Großmutter. Dazu Cynthia Cosima Erhardt, Martin Reik, Matthias Brenner, Till Schmidt und Manuel Thielen - fabelhaft allesamt.

„So lange wir erzählen können, gibt es Hoffnung“, sagt Eugen Ruge, der Autor des Buches. Und so lange wir zuhören können. (mz)

Nächste Vorstellungen am 9. Februar um 19.30 und am 10. Februar um 15 Uhr

Der Geburtstag des alten Genossen läuft aus dem Ruder; v.l.: Manuel Thielen, Till Schmidt, Hilmar Eichhorn, Cornelia Heyse
Der Geburtstag des alten Genossen läuft aus dem Ruder; v.l.: Manuel Thielen, Till Schmidt, Hilmar Eichhorn, Cornelia Heyse
Falk Wenzel