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In der DDR verboten In der DDR verboten: Noch nie gezeigte Fotos von Halle ausgestellt

Von Andreas Montag 29.11.2019, 09:00
Helga Paris: Ohne Titel, 1983–1985; aus der Serie „Häuser und Gesichter. Halle 1983–1985“
Helga Paris: Ohne Titel, 1983–1985; aus der Serie „Häuser und Gesichter. Halle 1983–1985“ © Helga Paris. Quelle: ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)

Berlin - Ich sehe was, was du nicht siehst. So lässt sich vielleicht am besten beschreiben, was die Kunst des Fotografen - oder der Fotografin ausmacht, um die es hier geht. Allerdings wird man das, was Helga Paris, 81 Jahre alt inzwischen, mit ihrer Kunst geleistet hat, keineswegs ein Kinderspiel nennen dürfen.

Das Wichtigste daran ist neben dem technischen Können, das sich die gelernte Modegestalterin und fotografische Autodidaktin akribisch angeeignet hat, der besondere Blick auf die Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren. Und auf die Schönheit, die sich hinter Alltagsgrau und Tristesse verbirgt. Wer diesen Blick nicht hat, wird keine Bilder von dauernder Gültigkeit hervorbringen können. Helga Paris kann das.

Geht man durch die Ausstellung, die man der Künstlerin jetzt im Haus der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin, zwischen Adlon und Brandenburger Tor, gewidmet hat, kann einen das Bedürfnis überkommen, sich zu verneigen: Vor Helga Paris natürlich, aber auch vor den Menschen und Stadtlandschaften, deren Würde sie mit ihrer Kunst auf glaubhafteste Art bezeugt hat.

Das haben nicht alle immer so gesehen. In Halle, wo Helga Paris in den Jahren von 1983 bis 1985 ihre Serie „Häuser und Gesichter“ fotografierte, haben die Funktionäre 1986 die schon fertige Ausstellung wenige Tage vor Eröffnung verboten. So, wie sie „ihre“ Stadt und „ihre“ Menschen porträtiert sahen, sollte es nicht aussehen in der Hauptstadt des DDR-Chemiebezirks. Und sie sahen das Schöne also nicht.

„Ich habe Halle fotografiert wie eine fremde Stadt in einem fremden Land“ - diese Aussage der Künstlerin ist neben einer Auswahl der wundervollen Halle-Bilder zu lesen. Aber mit der Anerkenntnis der Wirklichkeit (und dem Blick des Fremden auf das Eigene) taten sich die Genossen Kulturverwalter mehrheitlich schwer. Sie wollten lieber glückliche Erbauer des Sozialismus dargestellt wissen, kühn und sieghaft in die lichte Zukunft blickend. Damit konnte und wollte Helga Paris nicht dienen. Solchen Leuten wird sie auch kaum begegnet sein in ihrem Kiez im Prenzlauer Berg, wo sie seit rund 50 Jahren lebt und arbeitet. Sie hat dabei Bilder entdeckt und bewahrt, die einem zu Herzen gehen.

Von den Arbeiterinnen zum Beispiel, die sie in den 80er Jahren in einem Ostberliner Bekleidungswerk fotografierte. Und von den Gästen in Berliner Kneipen. Aufnahmen, von denen jede einzelne einen Charakter offenbart und ein Schicksal erzählt. Ungestillter Lebenshunger und tiefe Enttäuschungen treten zu Tage, Müdigkeit, aber auch Zufriedenheit mit dem, was man hat - hier ist der ganze Osten in einer Serie einzelner, streng schwarz-weißer Porträts festgehalten. Bilder voller Genauigkeit und Liebe, denen man nicht ausweichen, die man nicht nebenher konsumieren kann wie all die flüchtigen Eindrücke der bunten Medienwelt.

Hier ist ein Archiv des Alltagslebens zu besichtigen. Die Chronik eines Landes, das es nicht mehr gibt, aber seine längst erwachsenen Kinder mit vielen Fäden doch noch bindet und dessen Gencode wir in uns tragen, gewollt oder nicht.

Man geht durch die Säle dieser großzügigen, großartigen Ausstellung, deren einziger Makel ist, dass es den Katalog erst im Januar geben soll, und wünscht sich, es möchte immer noch ein weiterer Raum sich öffnen.

Am Ende aber wartet eine bildliche Entdeckung auf den Betrachter, die sich erst durch den Begleittext ganz erschließt. „Erinnerungen an Z.“ heißt er, wie die Bilderserie. Z. steht für Zossen, wohin die Familie aus Pommern geflohen war. Die poetische Lakonie des Geschriebenen nimmt einem den Atem.

Da liest man, wohl als Legende zum Bild eines in gewollter Unschärfe sich vorbeugenden, kräftigen Maskenmannes: „Meine Schwester wollte, dass Mutter mit uns ins Wasser geht. Das war, als die Russen in den Luftschutzkeller eindrangen. Ich hatte Angst, dass Mutter ihr Flehen erhört. Meine Schwester war acht, ich sechs. Vergewaltigen ist, dachte ich, wenn sie den Frauen die Ohrringe herausreißen.“

Eine Ausstellung, die einem nicht aus dem Kopf gehen wird. Und nicht von der Seele. (mz)

››Akad. d. Künste, Berlin, Pariser Platz 4, bis zum 12.1., Di-So 11-19 Uhr, am 24. u. 31.12. geschlossen, Eintr. 6, erm. 4 Euro bis 18 Jahre und Di ab 15 Uhr frei

Helga Paris: Ohne Titel, 1984; aus der Serie Frauen im Bekleidungswerk VEB Treffmodelle Berlin.
Helga Paris: Ohne Titel, 1984; aus der Serie Frauen im Bekleidungswerk VEB Treffmodelle Berlin.