Hin und weg Hin und weg: In seinem neuen Album entdeckt Xavier Naidoo die Liebe wieder

Halle (Saale) - Es ist die patentierte Mischung aus Wohlfühlbeats, Predigerpathos und souligem Sendungsbewusstsein, das vom ersten Ton an klarmacht, worum es hier geht. Xavier Naidoo, nach Meinung seiner zahlreichen Kritiker in den vergangenen Jahren unterwegs aus der Mitte der Pop-Gesellschaft an den Rand dessen, was in Deutschland gesungen werden darf, kehrt zurück zu seinen Wurzeln:
„Hin und weg“, Soloalbum Nummer zehn des Mitgründers der Söhne Mannheims, verzichtet auf jede rhetorische Spitze und allen politischen Unterbau.
Naidoo, inzwischen 47 Jahre alt und im dritten Jahrzehnt seiner Karriere, hat die Liebe wiederentdeckt. 14 Songs lang pflegt und hegt er sie, er himmelt Frauen an und ist „Aufgeregt“, wie ein Stück heißt, er flüstert sich durch „Eine Nacht“ und betet „Diese Eine“ an: „Deine Augen, dein Lächeln, dein Gesicht / ist wie die Sonne, die durch Gewitterwolken bricht“.
Eine Überdosis Gefühl, bei dem nur mehr die Liebe zählt. Vorbei die Tage, als der Sohn eines südafrikanischen Mechanikers seine Lieder nutzte, um Gott den Herrn zu preisen und daraufhin von einem Magazin zum „Anführer der Generation Gott“ ausgerufen wird.
Ein musizierender Messias, dem seine Gläubigen erst bedingungslos folgen auf einem „Weg, der kein leichter sein“ wird, wie er auf dem Höhepunkt von Ruhm und Bekanntheit in einem WM-Lied für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft dichtet. Um ihn wenig später allerdings unter den Verdacht des Rechtspopulisten zu stellen:
Naidoo hatte sich beginnend mit der großen Finanzkrise vor zehn Jahren immer wieder zu Fragen der Finanzpolitik geäußert, gemeinsam mit Reichsbürgern und Rechten an Friedensdemos teilgenommen und Zweifel daran geäußert, dass Medien im Land richtig und vollständig informieren.
Die Jury des Preises „Das Goldene Brett“ bezeichnete Naidoos Musik in jenen Tagen als „Einstiegsdroge in ein ganzes Geflecht an abstrusen Verschwörungstheorien“.
Gegen Xavier Naidoo gab es in Vergangenheit riesige Protestwelle
Proteste gegen Fernsehauftritte des Sängers häuften sich, Boykottaufrufe wurden laut und die Entscheidung, den Mannheimer als deutschen Vertreter zum European Song Contest zu entsenden, musste zurückgenommen werden, nachdem eine riesige Protestwelle losgebrochen war.
Nicht minder groß aber war die Welle der Solidarität, die Xavier Naidoo nach seiner Ausbootung erfuhr. Wenn er jetzt in „Blut, Schweiß und Tränen“ singt „dein Leben ist ein Weg und manchmal kein Spaziergang / doch erst, wenn du ihn gehst, merkst du, dass nichts passieren kann“, dann ist auch das vordergründig nur ein Reimpaar aus einem Liebeslied, das Naidoos Fähigkeit ausstellt, auch ohne große Melodie und originellen Texteinfall Handreichungen zu singen, die beim Hörer ins Herz treffen.
In seinem Personalstil ist Xavier Naidoo unverwechselbar wie Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer und Peter Maffay, ein Solitär, der mit keiner Mode segelt, sondern mit seiner streichelweichen Soul-Stimme, die zuweilen an das Organ des Lift-Sängers Werther Lohse erinnert, ausschließlich einer eigenen Ästhetik folgt.
Hat das neue Album von Xavier Naidoo ein künstlerisches Ich?
Auf „Hin und weg“, ein Titel, der sich auch als „Hin und Weg“ lesen lässt, gibt es kein künstlerisches Ich, das nicht identisch ist mit dem lebenden, atmenden und als TV-Juror vielbeschäftigten Sänger, der hier weniger Pop-Philosoph ist als Bekenner und Verzeiher.
„Ich danke allen Menschen, die mich zu dem machten, der ich bin“, singt er zum auf diesem Album durchgehenden Teppich aus Keyboards, einem schweren Bass und ein paar funky Gitarren, „den Guten wie den Schlechten - vielleicht hatten sie nie Böses im Sinn“.
Er jedenfalls, Xavier Naidoo, in der Silvesternacht 1992 von Reggae-Legende Bob Marley und einer zufällig herumliegenden Bibel erweckt, steht über diesen kleinlichen Dingen, dem Zank und Streit, dem Hass und dem Hader.
Dass sich auch jetzt wieder Leute an ihm abarbeiten, indem sie die auf dem Album zu hörenden Musikerkollegen Chefket, Kontra K, MoTrip und Klotz dafür kritisieren, mit einem „AfD-nahen Verschwörungstheoretiker“ zusammenzuarbeiten, wie es der Rapper 3Plusss ausgedrückt hat, ficht Xavier Naidoo nicht an. Viel Feind, viel Ehr’. Und am Ende ist Liebe genug für alle da. (mz)
