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Himmelsscheibe in Berlin Himmelsscheibe von Nebra in Berlin: Ausstellung über Archäologie in Deutschland

Von Günter Kowa 20.09.2018, 18:22
Die Himmelsscheibe von Nebra steht in einer Vitrine in der Ausstellung „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“ im Martin-Gropius-Bau.
Die Himmelsscheibe von Nebra steht in einer Vitrine in der Ausstellung „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“ im Martin-Gropius-Bau. dpa

Berlin - Endgültig zur kulturellen Ikone geadelt, steht die Himmelsscheibe von Nebra nunmehr sinnbildlich für die „Archäologie in Deutschland“. Die im Berliner Gropius-Bau eröffnete Ausstellung mit diesem (Unter-)Titel trägt die berühmt gewordene 4.000 Jahre alte Bronzeplatte mit den goldenen Sternen und Sonnenschiffen auf Plakat und Katalog zur Schau.

An Halles Landesmuseum für Vorgeschichte will man auf den Besuchermagnet Nummer eins aber nicht drei Monate lang verzichten und holt sie nach sechs Wochen zurück, danach ersetzt durch die „Master-Kopie“, die freilich keiner vom Original unterscheiden kann.

Archäologie in Deutschland - das heißt genau genommen Archäologie in den deutschen Bundesländern und Stadtstaaten. Da gelten überall eigene Gesetze und Zuständigkeiten, und selbst der Verband der Landesarchäologen ist nur eine ehrenamtliche Veranstaltung. Eine „Leistungsschau“, womöglich nach Ländern geordnet, ist die Ausstellung aber glücklicherweise nicht.

Archäologie in Deutschland: Griff in die Schatzkisten für Ausstellung in Berlin

Der Haupt- und Obertitel deutet hingegen an, dass diese die Gegenwart spiegelt. „Bewegte Zeiten“, das mag auf heute fast noch mehr zutreffen als auf den Bogen von sechs- oder siebentausend Jahren, in dem „Bewegungen von Menschen, Sachen und Ideen“ (Parzinger) eben genauso prägend waren wie jetzt. „Die Menschen waren immer schon unterwegs“, sagt Matthias Wemhoff, Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und federführend für die Ausstellung, „wo irgendwo Menschen neu hinzukommen, bedeutet das immer auch Entwicklung.“

So fördert der Griff in die Schatzkisten der deutschen Archäologie das Anschauungsmaterial für eine Vergangenheit zutage, die - so die Raumtitel - von Mobilität, Austausch, Warenaustausch, Konflikte und Innovation erzählt. Da ist Migration so geläufig wie Globalisierung.

Ob das die „besorgten Bürger“ beruhigt? Wie auch immer, das Panorama vom kulturellen Schmelztiegel Europa fängt im großen Atrium eindrucksvoll genug an mit der römischen Hafen- und Provinzhauptstadt Köln, die zahllos Spuren hinterlassen hat von den Scherben der Amphoren auf den Handelsschiffen bis zu imposanten Resten gewaltiger Verkehrs-, Befestigungs- und Straßenbauten. Überhaupt braucht der viel beschworene Austausch von Waren und Kultur immer neue Wege, die nicht selten mitsamt den Spuren der Wagenräder ausgegraben sind.

Innovation ist der Motor des Fortschritts. Aus Schöningen ist einer der gut drei, vier Armeslängen messenden Steinzeitspeere zu sehen, die dank der Dichte des langsam gewachsenen Holzes bruchfest bearbeitet und angespitzt werden konnten, für die Jagd auf Wildpferde, was der Spezies des Homo Heidelbergensis erstklassige kommunikative Fähigkeiten bescheinigt.

Lübeck steuert eine besonders einfallsreiche Attraktion bei. Die Entdeckung fast intakter Keller aus Holzbohlen aus der Gründungszeit der Siedlung Mitte des 12. Jahrhunderts hat so viel Wissen um die Stadtplanung zutage gefördert, dass „Investoren“ per Bauschild zur Ansiedlung umworben werden, die mittels (Fachwerk-)Fertigbauweise zügig, rationell und erfolgversprechend voran gehen kann.

Alchemisten-Werkstatt aus Wittenberg auch bei der Ausstellung in Berlin

Auch Kunst ist Innovation. Die Archäologie kann zu ihren Anfängen hinführen, aber auch Verschollenes historischer Zeit wieder entdecken. Ein doppelt daumengroßes Werkstück aus Mammut-Elfenbein, durchfurcht mit Rillen, formt sich mit Einschnitten und Ausbuchtungen zur „Venus vom Hohle Fels“, um die 40.000 Jahre alt und gefunden auf der Schwäbischen Alb. 1937 hätten derlei Formen als „entartet“ gegolten. 2010 klärte der „Berliner Skulpturenfund“ das Schicksal etlicher Skulpturen des Expressionismus und der Klassischen Moderne, zu sehen in einer Reihe mit Zeugnissen von Bilderstürmen anderer Zeiten.

Die Hallenser sind nicht nur mit der Himmelsscheibe, sondern auch mit der „Alchemisten-Werkstatt“ aus Wittenberg dabei, deren mühsam aus tausend Scherben zusammengesetzten Glaskolben, Retorten, Tiegel und Phiolen das ungemein lebendige Bild einer letztendlich nur auf Umwegen innovativen Wissenschaft abgeben, aber vor Ort noch fast gar nicht ausgestellt war und erst in einigen Jahren die hallesche Dauerausstellung komplettieren soll. Das sollte doch zu denken geben, auch wenn Halle die Berliner Ausstellung tatsächlich vielfach inspiriert hat, ganz besonders in der „Konflikt“ betitelten Abteilung mit Beiträgen aus der „Krieg“-Ausstellung von 2015/16.

Es ist aber nicht so, dass die beteiligten Archäologie-Ämter in Berlin mit mehr als mit ihren Leihgaben mitgewirkt haben. Unter dem Zwang der thematischen Zuspitzung ist so auch die Himmelsscheibe eher wie ein Kunstwerk präsentiert und unter Sphärenklängen und Sternenhimmel präsentiert, und in der Gemeinschaft mit den mysteriösen „Goldhüten“ hauptsächlich als Kalender interpretiert. Was in den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten in Deutschland ausgegraben wurde, hat sehr viel Neues zum Panorama der Menschheitsgeschichte beigetragen.

Gropius Bau Berlin, bis 6. Jan., Mi-Mo 10-19 Uhr. Katalog 29 Euro. Zeitfenstertickets auf der Webseite erhältlich. (mz)