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Hermann Kant wird 90 Hermann Kant: Schriftsteller und Funktionär wird 90

Von Andreas Montag 13.06.2016, 17:33
Der Autor Hermann Kant
Der Autor Hermann Kant dpa-Zentralbild

Halle (Saale)/Neustrelitz - Man kann ihn nicht mehr so leicht erreichen. Aber seine Biografin Linde Salber hat die Verbindung hergestellt. Die alte Festnetznummer in Prälank bei Neustrelitz ist gelöscht, Hermann Kant lebt nach einem schweren Sturz, der ihn fast das Leben gekostet hätte, in einem Haus, das betreutes Wohnen anbietet.

In seinem vor einem Jahr veröffentlichten und in der Mitteldeutschen Zeitung besprochenen Bändchen „Ein strenges Spiel“ hat er von dem Fall berichtet - in seinem letzten Buch, wie er selber schrieb und nun im Gespräch auch bestätigt.

„Ich habe auch das Gefühl, ich habe Meines getan“, sagt Kant, der 90 Jahre alt wird. Im Übrigen sei die Aufgabe des Schreibens aber gar nicht so sehr eine Frage des freien Willens: „Man muss sich den Umständen unterordnen. Und die sind widrig.“

Gesundheitliche Schwierigkeiten

Es fehlt die Sehkraft, Kant kann nicht mehr am Computer arbeiten. Und spazieren gehen? „Das wäre übertrieben“, lautet die Antwort in Kantscher Ironie. Aber es gehe ihm wieder besser, sagt er, „viel besser als zu jener Zeit, als ich in diese Wohnung eingezogen bin“.

Immerhin, die notwendigen Gänge, „die mir die Bürokratie auferlegt“, kann er unternehmen, allerdings in Begleitung.

Schon einmal, als junger Mann, ist er glücklich davongekommen - damals, in polnischer Kriegsgefangenschaft. Darüber hat Kant in dem autobiografischen Roman „Der Aufenthalt“ geschrieben, einem Buch, das ihm viel Anerkennung eintrug, zu Recht.

Später, auf grundsätzliche Weise, ist er nicht davongekommen. Kant, der als Schriftsteller mit dem Roman „Die Aula“ quasi einen Gründungsmythos der DDR festgeschrieben hat, ist eben auch Funktionär gewesen - Präsident des Schriftstellerverbandes, Mitglied im Zentralkomitee der SED.

Und Stasi-Kontakte stehen auch zu Buche, die Kant lange bestritten hat. In seine Amtszeit fallen die schweren Auseinandersetzungen nach der Ausbürgerung des Dichtersängers Wolf Biermann im Herbst 1976, protestierende Autoren wurden aus dem Verband ausgeschlossen, verließen das Land. Zwischen den Gegangenen und den Gebliebenen ist tiefes Misstrauen, ja sogar Feindschaft gewachsen.

Das alles wird Kant auf die Rechnung geschrieben, der schließlich zuständig war und seine Partei vertrat in den „Kämpfen unserer Zeit“, wie es damals pathetisch hieß, wenn es um die als siegreich beschlossene und verkündete Sache des Sozialismus ging.

Der Traum vom besseren Leben

Der hatte Kant sich verschrieben, das kann man auch verstehen angesichts seiner Biografie: Geboren am 14. Juni 1926 in Hamburg in ärmlichen Verhältnissen, dann Wehrmachtssoldat und Kriegsgefangener, hatte er den Traum vom besseren Leben, von der besseren Welt im Gepäck. Den wollte er einlösen und hat vom Scheitern der DDR doch wohl schon früher gewusst, als er es sich selber eingestehen mochte.

Wir reden jetzt über die Kämpfe jener Zeit, in der das Wir jeden meinen und mitnehmen sollte, obwohl er gar nichts wusste, nichts wissen konnte und nichts wissen sollte von den Dingen, die die Führung der SED und des Staates tunlichst für sich behalten wollte: Die eigene zerklüftete Geschichte, den ganzen stalinistischen Dreck, den sie mit sich schleppten und ihrem Volk aufbürdeten.

„Diese Kämpfe“, sagt Kant, „die viel zu oft nur Krämpfe waren, haben mich weder ausgefüllt noch abgeschreckt, meine Stimme hören zu lassen.“ Hier meint er zugleich schon die Zeit danach, als er von Berlin endgültig in die Einsamkeit, die Stille des mecklenburgischen Landes floh.

Gab es eine eigenständiger DDR-Literatur?

Der Streit aber, ob es eine eigenständige DDR-Literatur gab oder nicht, der Streit, wer zu den Guten gehört, wer nicht, den Autoren wie Sarah Kirsch einerseits und Christa Wolf andererseits gegeneinander führten - „mich ödet das alles an“, sagt Kant.

Weil er vielleicht besser als andere wisse, „wie dieser große Versuch, der gemacht worden ist, gescheitert ist - wie es solchen Versuchen zu gehen pflegt“. Es gebe „eine große Parteiung in diesem Land“, der Bundesrepublik - Menschen, die es nicht darauf angelegt hätten, diesen Streit um die DDR und ihre Literatur einmal und „mit einem gewissen Ergebnis zu beenden“.

Das sind, so Kant, diejenigen, „denen die DDR, so tot sie war, nicht noch töter hätte sein können“. Was ihn immer noch zufrieden macht: Dass der Schriftstellerverband unter seiner Ägide „aus einem Verein“ zu etwas geworden sei, „in dem einiges möglich war“, das dem, wie alle Menschen in der DDR hätten leben sollen, nahe kam.

Diskussionsfreude meint Kant, auch die Reisefreiheit, die unter den gegebenen Umständen allerdings ein Reiseprivileg war. „Von Menschen, die sich nicht bewegen dürfen, darf man nicht erwarten, dass sie Großes vollbringen“. Natürlich wäre er dafür gewesen, alle Bürger reisen zu lassen.

Kant will die DDR nicht schöner reden, als sie war. Aber er will auch nicht der Prügelkabe sein, der an allem schuld ist. Um diesen Punkt hat sich die Debatte mit und um Kant jahrelang im Kreise gedreht. Weil er mitgemacht hat auf der Seite der Macht.

Warum hat er, der ambitionierte, erfolgreiche Autor, dieses Präsidentenamt eigentlich angenommen? „Eine reizvolle Aufgabe“ sei das gewesen, sagt Kant: „Dass sie mich abgenutzt hat, ist eine andere Geschichte.“

Dabei hatte er es, wie er selber sagt, doch besser gewusst: „Wenn man nach den vielen Gründen des Scheiterns sucht“, sagt er, dann gehöre „das Nicht-Einbezogen-Sein der Bevölkerung in die Prozesse, die sie selber betrafen“, wesentlich dazu: „Daraus kann nichts werden: Ohne Beteiligung gibt es keine Aussicht auf Erfolg.“

Also war war die Welle der Empörung nach dem Rauswurf Biermanns aus der DDR auch vorhersehbar? „Das ist kein jäher Vulkanausbruch gewesen“, meint Kant, „das hat sich lange entwickelt. Und ab einem bestimmten Punkt war es dann vorbei.“

Kant will die Kämpfe nicht mehr kämpfen, er ist 90 Jahre alt, viele der alten Freunde und der alten Feinde sind inzwischen tot. Aber, sagt er, „manchen kann es nicht vorbei genug sein, sie wollen immer noch einmal siegen.“

Hermann Kant nicht. Aber eine Feier gibt es immerhin. Am Dienstag wird ihm der Aufbau Verlag Berlin im Theater Neustrelitz einen Leseabend widmen. Auch der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase (85, „Berlin - Ecke Schönhauser“, „Sommer vorm Balkon“) wird kommen, die Nachfrage ist groß.

Er hat mit Hamburg abgeschlossen

Und wäre er nicht lieber in Hamburg an diesem Tag? In seiner Geburtsstadt, aus der, was für eine Ironie, auch Wolf Biermann stammt. Und Angela Merkel. „Nein. Dass ich Hamburg nicht mehr sehen werde“, sagt Kant, „ist eine abgeschlossene Angelegenheit.“ Und nach einer Pause sagt er: „Das tut mir weh.“ Da möchte man den alten Mann beinahe am Arm nehmen und mit ihm losfahren. Nicht ins Theater Neustrelitz.

Aber Kant wäre nicht Kant, versuchte er nicht umgehend, die eigene Wehmut einzufangen. Er kenne seine Stadt ganz genau, „ich kann Ihnen manche Ecken genau mit Bordsteinkante schildern“. Er sei froh darüber, dass er früher, jahrzehntelang, „ins Auto steigen konnte, nach Hamburg fahren, wo ich ein bisschen Fisch aß, in Buchläden stöberte und wieder nach Hause fuhr. Das habe ich gehabt, das kann mir keiner nehmen“, sagt Hermann Kant regelrecht trotzig.

Dann fügt er merkwürdig diplomatisch und gestelzt hinzu: „Ich habe in dieser Beziehung keine Wünsche.“ Aber das glaubt man ihm nicht. Keinen Augenblick. (mz)