"Herbst in Peking" "Herbst in Peking": Schirmlos im Dauerregen der Menschheitskatastrophen

halle/MZ - Es war schon fast vorüber mit der DDR, da gelang es Rex Joswig tatsächlich noch mal, die Kulturbürokratie in Angst und Schrecken zu versetzen. Mit seiner Band Herbst in Peking, wegen ihres Namens ohnehin schon verdächtig, forderte Joswig die Besucher eines Konzertes im Sommer 1989 zu einer Schweigeminute für die Opfer des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking auf. Ein letztes Mal fuhr daraufhin der Verbotshammer auf eine DDR-Rockgruppe nieder.
Der Bann aber hielt nur wenige Monate, dann war die DDR erledigt und Joswig wieder da. Die selbsternannte „lebende Repetiermaschine“ fügte dem oft larmoyanten Selbstmitleid der sogenannten anderen Bands der DDR einen Hauch Dada hinzu. Die Arbeiter- und Bauernrepublik kam in „On the Water“ nicht gut weg. Und in „Bakschischrepublik“ wurde gleich auch noch mit den neuen Mächten abgerechnet: „Schwarz-Rot-Gold ist das System, morgen wird es untergehen“.
Gallebitterer Humor traf noch zwei weitere Alben lang auf zunehmend elektronischere Klänge. Dann verschwand die fortwährend umformierte Band mit dem Hang zu wilder Vielsprachigkeit im Orkus der Musikgeschichte.
Um nun plötzlich, pünktlich zum 25. Bandjubiläum, mit einem Album wieder aufzutauchen, das „Greatest Hits“ heißen müsste, hätte es Rex Joswig irgendwann einmal darauf angelegt, Hits zu schreiben. Die Melodien dafür hatten Stücke wie „Movie stops tomorrow“ und „Jesus war so cool“. Die poppige Eindimensionalität aber hatten sie nie. Dabei bleibt es auch bei den Live-Konzerten, auf denen der früher in Halle lebende Joswig die „Ex Oriente Lux“ genannte Werkschau in 17 Kapiteln derzeit vorstellt.
Begleitet von Thorsten Beckmann und Torsten Füchsel an den Gitarren zelebriert der 51-Jährige auf der Bühne eine Show zwischen Dichterlesung, Poetry-Slam und Ambient-Messe. Obwohl das rhythmische Fundament aus dem Laptop kommt, rockt das Trio beim alten Stück „Shame“ hypnotisch. Joswigs tiefdunkle Stimme, Radiohörern rund um Halle aus der aller 14 Tage bei Radio Corax laufenden Sendung „Grenzpunkt Null“ bekannt, lädt simple Verse nach Belieben mit Bedeutung auf. „Immer wenn es regnet, vergess’ ich meinen Schirm“, grummelt er und das klingt, als bahne sich da eine echte Menschheitskatastrophe an.
Assoziationen fliegen hier im Sekundentakt vorbei, es wird angespielt und Mitdenken gefordert und Humor tarnt sich als garstige Zumutung. Zwei Gitarren, unzählige Gedanken, Blubberbass und grollendes Geschrei - die Einstürzenden Neubauten und Nick Cave sind soweit weg nicht. Rex Joswig, der inzwischen als freier Künstler in Berlin lebt und nebenher mit dem früheren Inchtabokatables-Sänger Robert Beckmann die Band The Hidden Sea betreibt, lebt hörbar nicht eben im Frieden mit der Welt, die nur auf Primärreize reagiert. Da passt es, dass sie beim Auftritt in Halle „Lost Highway“ von der früh verstorbenen Country-Unglückraben Hank Williams spielen - inmitten der kleinen Hymnen aus eigener Herstellung.