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Helen Schneider Helen Schneider: Weite Reise zu den eigenen Wurzeln

Von Andreas Hillger 27.02.2003, 08:03

Dessau/MZ. - Der Name des Albums könnte auch einem Kapitel ihrer noch zu schreibenden Biografie zum Titel dienen: Helen Schneiders Platte "A Walk on the Weill Side", die den Namen des Dessauer Komponisten 1989 an die Stelle des Attributs "Wild" setzte, markiert fraglos einen Wendepunkt in der Karriere der vielseitigen Künstlerin.

Doch da ihr "Weg auf der wilden Seite" auch über andere Stationen führte und noch längst nicht abgeschlossen ist, lohnt sich die Frage nach der besonderen Neigung zu Kurt Weill, der zwei Jahre vor Helen Schneiders Geburt in New York starb. Und dessen Werk sie erst für sich entdeckte, als sie mit Mitte Dreißig nach Berlin kam.

Vielleicht war sie damals ja besonders aufnahmefähig für die Klänge aus den 20er Jahren, denen sie in Abwandlung auch bei den Proben zum Musical "Cabaret" begegnete, mit dem sie am Theater des Westens ihre Emanzipation von der Popmusik feierte. Bevor sie - neben Hildegard Knef, die pikanterweise das "Fräulein Schneider" spielte - als Sally Bowles ins Charakterfach vorstieß, war sie mit Songs wie "Rock'n'Roll Gypsy" in die Charts gestürmt und hatte auf einer Tour an der Seite von Udo Lindenberg 1980 auch Deutschland erobert.

Nun also war die Zeit reif für Weill - und damit auch für die Erinnerung an den eigenen Großvater, der bis 1920 in Hamburg gelebt und dann als Konzertmeister in Odessa gearbeitet hatte, ehe er sein Glück als Emigrant in Amerika suchte - und nicht fand. Auf ihrer Reise zurück in die Zukunft entdeckte Helen Schneider, die seither in Musicals wie "Sunset Boulevard" oder "Frida Kahlo" zur europäischen Broadway-Botschafterin wurde und sich längst als "Weltbürgerin" begreift, eigene Wurzeln. Vor allem aber begegnete sie einem Vollblut-Musiker, der höchste Anforderungen an ihre Doppelbegabung als Sängerin und Schauspielerin stellte.

Und Weill als politischer Autor? Wenn man in diesen Tagen über diesen Musiker spricht, kann man die Frage nach dem Patriotismus des Emigranten kaum vermeiden, der während des Zweiten Weltkriegs ganz selbstverständlich aufmunternde Songs für die "Lunch Time Follies" genannten Kulturprogramme in der amerikanischen Rüstungsindustrie komponierte.

"Er hat aber auch", sagt Helen Schneider, "Stücke wie ,Johnny Johnson' oder ,Knickerbocker Holiday' geschrieben, die eine pazifistische Botschaft hatten". Im übrigen sei sie momentan nur bedingt aussagefähig zur Stimmung in den USA, weil sie sich derzeit ein neues Zuhause aufbaut: in Frankreich, wo Weill bekanntlich auch Station machte. Am 28. März aber singt sie - als nächsten Auftritt nach dem Dessauer Konzert - dann doch im Rathaus von New York, bevor sie am 30. Mai nach Halle kommt. Also weiter wild - mit Weill im Gepäck.