Heinz Rudolf Kunze Heinz Rudolf Kunze 2020: Neues Album Der Wahrheit die Ehre in der Kritik

Halle (Saale) - Mit seinem neuen Album „Der Wahrheit die Ehre“ wagt der fleißigste aller Deutschrocker einen Kopfsprung mitten in den tobenden Meinungskampf.
Er war sich zuweilen selbst ein Rätsel, wenn die Poesie ihn packte und er Fallschirmspringer in der Luft ertrinken und Plattenproduzenten sich mit Geiseln im Studio verschanzen ließ. „Viel zu schief gesungen, viel zu viel geraucht“, reimte er, „Kanal 17 ist defekt - wer hat Mut und taucht?“
Heinz Rudolf Kunze als Gegenentwurf zur Stimmungmusik
Heinz Rudolf Kunze, ein gelernter Germanist mit einer auffälligen Vorliebe für The Who, Neil Young und My Bloody Valentine, war der Gegenentwurf zu den deutschen Stimmungssängern Westernhagen, Lindenberg und Maffay. Von Weltverbesserern und Bekenntnissängern wie Hannes Wader, Konstantin Wecker und Herbert Grönemeyer hob er sich gleichermaßen deutlich ab. Ein König im eigenen Land, das war der Mann aus Espelkamp, dem immer wieder Hits wie „Dein ist mein ganzes Herz“, „Finden Sie Mabel“ oder „Aller Herren Länder“ gelangen, ohne dass er sich deshalb allzuweit vor den Marktanforderungen hätte verbeugen müssen.
Kunze sang keine Handlungsaufforderungen, abgesehen von der einen, die da „Glaubt keinem Sänger“ hieß und das Credo des Randy-Newman-Verehrers formulierte: „Glaubt keinem Sänger ist meine erste und letzte Parole/ Glaubt keinem Sänger - schlachtet die Idole.“
Kunze veröffentlicht 23. Studio-Album
Eine Kampfansage in C-Dur, die zum Selberdenken auffordert. Kunze, zu Beginn seiner Laufbahn gegen seinen Willen als „Niedermacher“ angekündigt und später häufig „Rockpoet“ genannt, hat sich daran gehalten. Was immer er sang, sang er nicht als er selbst. Kunzes Stücke waren Rollenspiele, der Mann mit der Brille schlüpfte in fremde Gedanken, er erzählte Geschichten und überließ es dem Zuhörer, sich einen Reim aus seinen Reimen zu machen.
Auf „Der Wahrheit die Ehre“, dem 23. Studioalbum, das Kunze gemeinsam mit seiner Stammband Verstärkung veröffentlicht, verschieben sich die Koordinaten. Kunze, der Beobachter vom Spielfeldrand, der schon auf seinem letzten Werk „Schöne Grüße vom Schicksal“ immer wieder von sich selber erzählte, geht bei seiner Premierenplatte für das Leipziger Label Meadow Lake Music noch einen Schritt weiter. „Der Wahrheit die Ehre“, im Grunde genommen das Album zum 40-jährigen Bühnenjubiläum, zeigt den inzwischen 64-jährigen Komponisten, Texter, Sänger, Gitarristen und Pianisten privater denn je.
"Der Wahrheit die Ehre": Kunze singt Klartext
Heinz Rudolf Kunze singt tatsächlich von sich und seiner Weltsicht, unverschlüsselt und ohne den Schutz der Rollen, in die er jahrzehntelang geschlüpft war. Hier gibt es nun Klartext in Stücken wie „Mit welchem Recht“ und „Die Zeit ist reif“, in denen HRK, wie ihn seine Fans nennen, keinen Zweifel daran lässt, auf welcher Seite der Barrikaden er in den Kämpfen der Zeit steht. „Glaubt denn irgendjemand wirklich im Ernst, das jemand gerne seine Heimat verlässt“, singt Kunze zu Ohooho-Chören, als wolle er noch einmal ausdrücklich klarstellen, wie missverstanden er sich fühlte, als Rechtspopulisten seinen von der Terrorgruppe NSU inspirierten Song „Willkommen liebe Mörder“ als Kommentar zur Flüchtlingskrise auslegten.
Diese Hymne hier ist eine Gegendarstellung voll großer Gesten: Kunze gibt den Stadionrocker, die Musik erinnert an Tom Petty und der Text ist eineindeutig: „Mit welchem Recht wollen wir Mauern errichten / damit der Garten Eden ungeteilt bleibt?“, singt Kunze, „mit welchem Recht auf das Mitleid verzichten / nur weil wir finden, dass die Bibel übertreibt.“
Eilzugbeat gegen Mahner
Ein bisschen ist er geworden, was er nie sein wollte - der „Prediger“ aus dem gleichnamigen Stück, das das Album eröffnet. Kunze arbeitet sich hier zu einem Eilzugbeat ab an den Mahnern und Warnern, die den Untergang stets kommen sehen und nur eine Rettung kennen „Tut Buße und lernt!“ Der alte, der gallige Kunze, der Zynismus in sanfte Melodien packt, hier feiert er ein Comeback, ehe das folgende „Völlig verzweifelt vor Glück“ beweist, dass es auch ganz leise geht, mit pluckerndem Bass und einem Sänger, der den langen Text sanft rezitiert.
Aber eigentlich tendiert Heinz Rudolf Kunze derzeit eher zum Groben, zu E-Gitarre und rabiatem Riff. „Spießgesellen der Lüge“ stampft herein wie „I Don’t Wanna Get Wise“, das gerade erschienene späte Bekenntnis von Kunzes Vorbildern The Who zu den Irrtümern und Verfehlungen der eigenen Jugend.
Alte Bekannte im Studio
›› Heinz Rudolf Kunze: „Der Wahrheit die Ehre“-Tour, Leipzig 17. April, Haus Auensee
Zweimal hat Kunze für das neue Album mit seinem alten Weggefährten Heiner Lürig zusammengearbeitet, zweimal sind Lieder entstanden, die Kunze selbst als Hymnen bezeichnet und die im Konzert sicher gut von Feuerzeugen beleuchtet werden können. Höhepunkt der Liedersammlung aber ist ein anderes Stück, ein Western in Tönen, der „Ein sorgloses Leben“ heißt und auf Ornamente um den zackigen Bluesrock verzichtet.
Heinz Rudolf Kunze erzählt die Geschichte eines Bankraubs, die zugleich die Geschichte einer großen Liebe und das Drama eines großen Missverständnisses ist. Es ist ein Rollensong, natürlich. (mz)