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Heinz Czechowski Heinz Czechowski: Im Flussbett der Geschichte

Von Christian Eger 21.07.2006, 20:52

Halle/MZ. - Den Hochsitzen der jeweils herrschenden Gesellschaftsdoktrin und ihrer emsigen Verweser. Was diese betrifft, gebraucht Czechowski das gute Jean-Paul-Wort von den "tückischen Schranzen" der Macht.

Ein gefühlvoller Lakoniker und melancholischer Landschafter ist dieser Sohn eines aus Oberschlesien stammenden Steuerbeamten und einer stramm monarchisch gesonnenen Sächsin. Ein Junge aus Dresden vor allem. Seiner Geburtsstadt, die er als Zehnjähriger im Feuer versinken sah; da war er zum Objekt gemacht worden zum ersten Mal. Ein Ich-Sager und Selbstinfragesteller seitdem, zwei seiner Lyrikbände tragen Titel wie "Ich, beispielsweise" (1982) und "Was mich betrifft" (1981). Ein zwischendeutscher Existenzialist, eindrücklich auf schwarz-weißen Fotografien. Ein altes Kindergesicht, stets eine Zigarette zwischen den Lippen.

Die Elbe arbeitet

Dass der Zeitzeuge Czechowski, der nach 1989 dem Osten verloren gegangen war und der nach Stationen in Limburg und Schöppingen heute in Frankfurt am Main lebt, nun seine Erinnerungen vorlegt, ist ein unverhofftes und im Resultat glückliches Ereignis. Denn Czechowski erinnert viel und genau. Krieg, Nachkrieg, DDR: Im Hintergrund stets Dresden, die seelisch-geistige und physisch-landschaftliche Obsession des Autors. Bäume rauschen. Die Elbe wird hörbar, deren "gurgelndes Geräusch" auf die "unaufhörliche Arbeit" hinweist, "die der Fluß seit Tausenden von Jahren verrichtete". In diesen Strom steigt der Autor und treibt im Flussbett seiner Geschichte.

Was den Lebensstrom am Fließen hält, sind "Die Pole der Erinnerung". So heißt Czechowskis Buch. Es gibt den "sächsischen Pol" von der Mutter, den oberschlesischen vom Vater her. Der Künstler Czechowski entpuppt sich als ein Vaterkind. Wie der Sohn wird er von Natursehnsucht getrieben, "verstand sich gut mit Müllern, Landwirten, Teichpächtern, Förstern".

Als Beamter hatte Vater Czechowski "keinen Ehrgeiz", zudem ein "Herz für gescheiterte Existenzen". Als Hitler am ersten September 1939 im Rundfunk verkündete "Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschossen!", stand dieser Vater vom Sofa auf und sagte: "Das ist der zweite Weltkrieg. Aber wir werden ihn auch diesmal nicht gewinnen!" Der Mutter gefiel solche Ansprache nicht. Sie stand für Ehrpusseligkeit und Standesdünkel. Die Familie war eine glückliche nur nach außen. Nach innen: heimlicher Alkoholismus, Depressionen. Darüber schreibt Czechowski mit dem unaufgeregten Atem des Chronisten und den tiefer lotenden Blicken des Dichters. Er macht die Märsche über die "staubüberzogene Trümmerwüste" spürbar, die Dresdens Mitte in den 50ern war. Stellt sich selbst als 20-Jähriger aus: "In politischer Hinsicht war ich ein Idiot".

Lehre als Reklamemaler, erste Gedichte in Brecht-Manier (Peter Huchel: "starke Talentprobe"), 1958 Studium am Literaturinstitut in Leipzig. Czechowski schreibt über seinen Lyriklehrer Georg Maurer und den Funktionär Alfred Kurella, ein "durchaus umgänglicher Mann". Von 1961 bis 1977 die Jahre in Halle, das ihm als "die verrottetste Stadt der DDR" erschien. Eintritt in die SED, Austritt 1976. Die Wolfs und die Kirschs tauchen auf, Sindermann und Neutsch, wie nebenbei lebhaft konturiert. Die Belegschaft im Mitteldeutschen Verlag. Anekdotisches auch, so Ende der 60er Jahre die Erfindung der "Sächsischen Dichterschule". Diese verdankt sich einem Wort Georg Maurers über die Höflichkeit der Jungdichter nach einem Konzert von Wolf Biermann im Atelier Willi Sittes.

Man wird viele Passagen auf "Stellen" lesen, und nicht enttäuscht. Affären, Klatsch, Untergänge, alles drin. Dabei gelingt es Czechowski, schonungslos gegen sich selbst zu sein, ohne peinlich zu berühren. Er hält eine verblüffende Äquidistanz zu allem, was ihm widerfährt. Er zeigt seine Verzweiflungen, aber klagt nicht an, er jammert nicht nach außen. Hier hat einer von vornherein mit einigem gerechnet.

Sprechendes Zeitbild

Ein historisch sprechendes Zeitbild ist da gelungen, gültig gemacht durch ein Höchstmaß an Subjektivität. Ein Werk, das in eine Reihe mit den wichtigen DDR-Erinnerungsbüchern von de Bruyn, Endler, Kunert gehört. Großartig der Epilog, der einen Weihnachtsspaziergang an der Elbe schildert. Czechowski bringt die Welt zum Sprechen, und diese ihn. Ein Buch, zu dem man gern zurückkehrt.