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Heiner Müller Heiner Müller: Viele treue Fans halten die Erinnerung wach

08.01.2004, 10:36

Berlin/dpa. - Er ist nicht vergessen. Treue Fans legen an Heiner Müllers Todestag stets die von ihm zu Lebzeiten so heiß geliebten Zigarren und kleinen Whiskey-Flaschen auf sein Grab in Berlin. Am 9. Januar wäre der Dramatiker, Regisseur und Intendant des Berliner Ensembles 75 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum gebe es einen richtigen Müller-Boom, sagt der Regisseur und Vorsitzende der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft, B.K. Tragelehn.

Theatermacher in ganz Deutschland erinnern mit Neuinszenierungen, Symposien und Lesungen an den großen Theatermacher (1929-1995). Am Geburtstag selbst gibt es in Berlin einen Schauspieler-Umzug. An Müllers langjährigem Wohnhaus, einem Plattenbau in Berlin- Lichtenberg, wird eine Gedenktafel enthüllt.

«Er ist unser Gedächtnis», meint Tragelehn. Schon zu DDR-Zeiten betrieb der 1929 im sächsischen Eppendorf geborene Müller nicht nur Sozialismuskritik. Es ging ihm immer ums Ganze - um die ewig aktuellen Menschheitsthemen wie Krieg, Liebe, Tod und Macht. «Antworten interessieren mich nicht. Ich kann keine anbieten. Mich interessieren Probleme und Konflikte», hat der Dramatiker einmal gesagt.

   Müllers Werke von «Quartett» bis zur «Umsiedlerin» haben nach einer Statistik des Verlags Henschel Schauspiel (Berlin) inzwischen wieder einen festen Platz im Spielplan der deutschsprachigen Theater. «Viele seiner Stücke haben auch heute eine ganz unmittelbare Wirkung», sagt Tragelehn. In dem Shakespeare-Kommentar «Anatomie Titus Fall of Rome» gehe es zum Beispiel hoch aktuell um «die Verteidigung der Festung Europa».

   Am Berliner Ensemble wird Müllers letzte, legendäre Inszenierung der Brecht-Parabel «Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui» bis heute vor stets ausverkauftem Haus gespielt. Mit Ende dieser Spielzeit hat Hauptdarsteller Martin Wuttke bereits in mehr als 300 Vorstellungen den Hitler nachempfundenen Gangsterboss Arturo Ui gespielt.

   Nach Müllers Tod am 30. Dezember 1995 hatten sich zunächst nur wenige Regisseure an seine Texte herangewagt. Mittlerweile versuchen sich Bühnen in den alten wie neuen Bundesländern an Neuinterpretationen der sprachgewaltigen Stücke. Im Ausland wird Müller von Mexiko-Stadt bis Paris und Bukarest gespielt. Mit Abstand am beliebtesten ist im In- und Ausland das Drama «Quartett» nach Choderlos de Laclos, in dem die Liebe als brutales Spiel um Gewalt und Macht entlarvt wird. 13 Neuinszenierungen von Müller-Stücken sind im Jubiläumsjahr bislang von deutschsprachigen Bühnen und Theatergruppen geplant.

   Müller, Sohn eines Beamten und einer Textilarbeiterin, veröffentlichte in den 50er Jahren in der gerade gegründeten DDR seine ersten dramatischen Texte. Als «Grenzgänger deutscher Kultur» war er stets ein streitbarer Humanist, ein überzeugter Marxist und Feind jeder ideologischen Erstarrung. In seiner Karriere erlebte der Autor viele Hochs und Tiefs, von der parteiamtlichen Verbannung durch die SED bis zum späten «Sonnyboy» der gewandelten DDR- Kulturpolitik, die ihn schließlich als «Brecht-Nachfolger» sah und als «sozialistischen Dramatiker von internationaler Wirkung» bezeichnete. Im Westen des geteilten Deutschlands war der Georg- Büchner-Preisträger ein «Hätschelkind» der intellektuellen Szene.

   Mit dem Ende der DDR fehlten Müller plötzlich die Themen, es fehlte ihm die Reibung. Er wurde Mitdirektor des Berliner Ensembles und letzter Präsident der DDR-Akademie der Künste. 1994 unterzog sich Müller einer Krebsoperation, bei der dem Whiskey-Trinker und Zigarrenraucher der größte Teil seiner Speiseröhre entfernt wurde, weitere Krankenhausaufenthalte folgten.

   An Müllers 75. Geburtstag wollen Schauspielstudenten durch Berlin ziehen und auf Plätzen und Straßen sein Mini-Drama «Herzstück» spielen. Der Schauspieler Ulrich Mühe gibt am selben Tag im Haus der Berliner Festspiele mit Müllers «Der Auftrag» sein Regiedebüt. Die Besetzung ist hochkarätig: Udo Samel, Christiane Paul, Inge Keller, Herbert Knaup, Ekkehard Schall und Florian Lukas spielen in dem Revolutionsstück. An der Berliner Akademie der Künste fragt vom 9. bis 11. Januar ein Heiner-Müller-Forum mit internationalen Gästen nach der Bedeutung seines Werks für die Gegenwart.

   Das Sächsische Theatertreffen vom 19. bis 26. April ist ganz dem Andenken Heiner Müllers gewidmet. Im Februar wird nach Angaben von Alexa Hennemann vom Suhrkamp Verlag (Frankfurt/Main) der siebte Band der Heiner-Müller-Werkausgabe erscheinen. Die Sammlung mit Prosa, Lyrik, Stücken und Übersetzungen ist auf insgesamt neun Bände angelegt. Speziell zum 75. Geburtstag erscheint am 21. Januar bei Suhrkamp die Aufsatzsammlung «Der Text ist der Coyote - Heiner Müller Bestandsaufnahme».