Hauptrolle Hauptrolle: «Thomas Mann ist nicht mein Lieblingsautor»

Hamburg/dpa. - Für den RegisseurHeinrich Breloer hat Mueller-Stahl, der am 17. Dezember 78 Jahre altwird, zuerst den Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann verkörpert(«Die Manns), nun spielt er Manns Romanfigur Jean Buddenbrook imKino. Dabei schätzt er persönlich Thomas Mann gar nicht besonders,
wie er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa verriet.
«Buddenbrooks» erzählt vom wirtschaftlichen Untergang einer Familie,von Spekulation und Risiken. Erschrecken Sie selbst angesichts derAktualität dieser Geschichte mitten in der globalen Finanzkrise?
Mueller-Stahl: «Wir sind alle ungeheuer ins Nachdenken geraten überdas, was gerade geschieht. Wir sind ja nah dran an diesemTurbokapitalismus, in dem die Menschen den Hals nicht voll kriegen.Jetzt sehen wir genau, dass so eine Gesellschaft nicht funktionierenkann. Es sterben in einem Teil der Welt Millionen Kinder an Hunger,und woanders wird ein Oligarch in Russland in zwei Jahren 16-facherMilliardär. Das kann nicht gutgehen. Nun haben wir die Antwort. Aberdas ist ja auch die Geschichte der Buddenbrooks: das Dilemma, wennalle denken, Gierigkeit sei des Lebens Inhalt.»
«Buddenbrooks» erzählt auch vom schwierigen Verhältnis des Bürgertumszur Kunst. Sind Künstler unabhängiger von ökonomischen Krisen?
Mueller-Stahl: «Zunächst einmal nicht. Das Künstlersein ist keinGarant für große Verdienste. Deshalb gibt es in der bürgerlichenGesellschaft erstmal kein Verständnis für viele Künstler. Für dieseKreise wird Kunst erst interessant, wenn sie in Einzelfällen vieleMillionen bringt. Aber die meisten Künstler scheitern, auch dieSchauspieler. Wenn die Kunst dann im Rückblick gesiegt hat, sind wirstolz auf sie. Wir sind stolz auf Bach, Beethoven, Schiller undGoethe. Doch wenn ein junger Mensch in die Kunst startet, heißt esimmer, mach doch lieber was Solides. All das wird in den"Buddenbrooks" miterzählt und hat bis heute Gültigkeit.»
Thomas Mann haben Sie bei Ihrer Aufzählung eben nicht erwähnt. MögenSie diesen Autor und sein Werk?
Mueller-Stahl: «Das ist nicht mein Lieblingsautor, obwohl ich jadurch das Fernsehprojekt "Die Manns" zu seinem Gesicht geworden binund die Verbindung sich jetzt mit der Rolle des Jean Buddenbrook nochweiter vertieft. Ich finde, Thomas Mann hat viel zu viel für dieUnsterblichkeit gearbeitet und sich selbst zu wichtig genommen. Ichpersönlich misstraue den Worten. Man schwindelt zu leicht mit Worten.Sprache verleitet immer dazu, Pointen zu setzen. Malerei, dasspontane Zeichnen, sind da immer ehrlicher und unmittelbarer.»
Und was ist mit dem Kino als Kunstform?
Mueller-Stahl: «Der Film ist in Deutschland nicht wirklich akzeptiertals bleibende Kunst. Das ist zum Beispiel in Frankreich anders. Dieheben den Film auf und schätzen die Künstler. Ein Schauspieler wieJean Gabin ist in Frankreich nicht nur ein toter Filmstar, sondernein großer Künstler. In Amerika wird ein James Dean auf ewig verehrt.In Deutschland hätte Heinz Rühmann aber keine Chance gegen Mozartoder Beethoven. Wir sind ein wenig ungerecht in unserer Auffassungvon Filmen, wir schätzen sie nicht wirklich. Dabei können gute Filmedie Welt späteren Generationen genauso erklären wie ein gutes Buch.»
Sie haben selbst angekündigt, nicht mehr viele Rollen im Kino spielenzu wollen. Sind Sie kameramüde geworden?
Mueller-Stahl: «Ich lasse es allmählich auslaufen. Dabei bleibe ichnatürlich offen und setzte mich nicht freiwillig in ein Gefängnis.Ich kann mir durchaus vorstellen, ab und zu noch Filme zu machen.Doch mit dem Alter verstärken sich andere Bedürfnisse. Neben demTeamleben beim Filmemachen habe ich immer auch das einsame Lebengewünscht. Das habe ich in der Malerei gefunden. Kreative Arbeit wirdfür mich aber immer wichtig sein als Blick über den Tellerrand desLebens hinaus. Es ist immer ganz merkwürdig, was da aus einemherauskommt.»
Als Jean Buddenbrook und auch in anderen Rollen der letzten Jahresterben sie vor der Kamera. Sind diese Szenen schwieriger als andere?
Mueller-Stahl: «Ja, seltsamerweise sterbe ich in allen meinen letztenRollen. Aber das ist ein rein technischer Vorgang der Schauspielerei.Und natürlich sind das auch kleine Generalproben für mich als altenMenschen. Unter dem Aspekt des Sterbens hätte mich aber eine Rolleganz besonders interessiert, die ich dann doch nicht angenommen habe.In "Operation Walküre" mit Tom Cruise hätte ich den General Beckspielen sollen, der sich mit der Pistole das Leben nimmt. Doch derMann schießt zuerst dreimal daneben. Stellen sie sich das mal vor.Dieser Tod hätte mich gereizt. Das hätte ich gern gespielt, seinenBlick, sein Gesicht, wenn er sich selbst dreimal verfehlt.»