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US-Präsident Guy Stern über US-Präsident Donlald Trump "völlig unberechenbar"

Von Andreas Montag 14.01.2017, 15:47
Donald Trump.
Donald Trump. imago stock&people

Halle (Saale)/Detroit - Der in den USA lebende Literaturwissenschaftler und Vizepräsident der Kurt Weill Foundation, Guy Stern, warnt in einem Interview vor Gefahren populistischer Politik in den USA, aber auch in Europa und Deutschland.  

Geboren am 14. Januar 1922  in Hildesheim, gelang Günther Stern 1937 als Einzigem  aus seiner deutsch-jüdischen Familie,  in die USA zu emigrieren. Seine Eltern und seine beiden Geschwister kamen im Holocaust um. Guy Stern, wie er nun hieß, landete 1944 als Freiwilliger  einer militärischen Aufklärungseinheit der US-Armee in der Normandie. Später studierte er Literaturwissenschaften, wurde Professor und ist bis heute als Gelehrter  tätig - auch bei regelmäßigen Besuchen in Deutschland. 1998 hielt er zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht eine Rede im Deutschen Bundestag. Mit Guy Stern sprach Andreas Montag.

Herr Stern, Sie werden jetzt 95 Jahre alt, Sie arbeiten wissenschaftlich, Sie publizieren und sind von beneidenswerter Präsenz. Wie schaffen Sie das?
Guy Stern: Das Geheimnis ist: Ich halte Diät. Ich treibe Gymnastik, jeden Morgen. Mentales Training kommt hinzu. Und (lacht) eine junge Frau.

Kurz nach Ihrem Geburtstag wird Donald Trump ins Weiße Haus einziehen. Wie geht es Ihnen damit?
Stern: Am 20. Januar wird mir übel werden.

Es gibt bei Ihnen in den USA, aber auch in Europa große Befürchtungen wegen Trumps Politik. Kommen unruhige Zeiten auf uns zu?
Stern: Genau das. Und zwar deshalb, weil Trump vollkommen unberechenbar ist. Was er heute sagt, kann morgen dementiert werden. Und umgekehrt. Deshalb sind die Sorgen berechtigt - sowohl, was unsere Innenpolitik betrifft, als auch die auswärtigen Beziehungen. Es kann gut sein, dass er sich morgen mit Putin überwirft, obwohl ich persönlich daran nicht glaube.

Der Wahlerfolg Trumps liegt im Trend, überall sind die Populisten auf einer Welle des Erfolges: in Ungarn, der Türkei, Großbritannien, Deutschland...
Stern: Und in Frankreich!

Wenn Ihnen das Sorgen bereitet -- welche ist die größte davon?
Stern: Es ängstigt mich diese Unberechenbarkeit. In Deutschland zum Beispiel haben sich alle möglichen Leute um die Fahne der AfD geschart. Da weiß man nicht, wer morgen die Führung übernehmen wird. In den USA ist es Trump, der führen wird, aber man weiß nicht, was er vorhat. Könnte man das voraussehen, ließen sich Gegenmaßnahmen planen.

Und die Kritiker in seiner eigenen Partei sind still geworden.
Stern: Die meisten Republikaner  reden ihm nach dem Mund. Ich sehe nur wenige im republikanischen Lager, die sagen würden: Bis hierher und nicht weiter, das ist gegen unsere demokratische Verfassung.

Die populistische Bewegung geht immer stärker mit einer Betonung des Nationalen, ja des Nationalistischen einher. Und man entfernt sich von Verabredungen, von Solidarität.
Stern: Solidarität sehe ich kaum noch, auch in den USA nicht. Früher war es so, dass Menschen aus unterschiedlichen politischen Lagern doch wenigstens miteinander reden und Kompromisse finden konnten. Das ist jetzt anders. Ich sage dies freilich, ohne ein ausgewiesener Experte für Politik zu sein. Allerdings vertrete ich die Meinung vieler meiner Kollegen an der Universität.

Sie selbst sind Opfer einer Politik geworden, die aus dem Ruder der Zivilisation gelaufen ist. Also in besonderer Weise sensibilisiert?
Stern: Ja, das glaube ich  schon.  Im Januar 1933, als Hitler an die Macht kam, saßen wir zu Hause am Esstisch. Meine Eltern sagten: Ach, der wird auch abwirtschaften! Schließlich haben wir eine Verfassung und ein Parlament, das Ausschreitungen im Wege stehen wird. Nun, wir wissen, dass die Verfassung binnen eines halben Jahres nur  ein Stück Papier war und das Parlament schließlich nur noch aus einer Partei bestand.
Was Trump betrifft, so handelt er allerdings nicht aus ideologischen Motiven. Insofern wird er nicht so weit gehen wie die Nationalsozialisten. Aber er setzt sich gern über Gesetze hinweg.

Sie sprachen von dem schrecklichen Irrtum vieler Deutscher, auch vieler deutscher Juden, es würde schon nicht so schlimm kommen. Dann ist aus dem Spuk, getragen von großen Teilen der Bevölkerung, eine Menschheitskatastrophe geworden. Und man steht immer noch fassungslos davor. Sie auch?
Stern: Obwohl ich mich in meiner Arbeit seit vielen Jahren und jetzt noch täglich mit diesem Phänomen und seinen Folgen beschäftige, habe ich keine endgültige Theorie dazu. Wir kennen Faktoren: Die große Arbeitslosigkeit, die Ungerechtigkeit der Güterverteilung - all das spielt mit. Aber ob schon jemand bis an die letzten Punkte der Motivation vorgedrungen ist, das bezweifle ich.

Wie haben Sie das damals erfahren?
Stern: Wir verstanden uns als deutsch-jüdisch, wir waren befreundet mit deutsch-christlichen Nachbarn. Es schien unmöglich, dass sie einem Hitler folgen könnten. Aber dann wirkten Furcht und sicher auch die ausgeklügelte Propagandamaschine. All das wissen wir heute. Aber wissen wir auch alles? Haben wir die Erkenntnis?

Und haben wir die Lehren? Vieles scheint inzwischen in die Geschichte gerückt und nicht mehr als existenziell begriffen zu sein.
Stern: Die Wahlerfolge der rechten Parteien sprechen dafür, dass viele nicht mehr wissen, dass sie gebrannte Kinder sind - nur eben drei Generationen entfernt. Und sie erinnern sich nicht mehr daran, was damals über das Land und die Menschen gekommen ist.

Sie haben alle Ihre Angehörigen im Holocaust verloren. Nur Sie selbst konnten gerettet werden?
Stern: Ich hatte ungeheures Glück. Meine Eltern hatten entschieden, erst einmal sollte der Älteste außer Landes. Er würde vielleicht etwas für die Familie tun können. Meine Mutter hatte einen Bruder in St. Louis, USA. Der verfügte aber nicht über die finanziellen Mittel, eine solche Hilfe allein zu bewältigen. Schließlich, was ich erst vor fünf Jahren erfuhr, gab es in den USA einen jüdischen Ausschuss, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, 1 000 Kinder zu retten. Ich war eines von denen, die ausgewählt wurden. Ich habe dann versucht, auch meine Familie aus Deutschland herauszuholen. Es wäre mir fast gelungen, aber dann hat es sich in letzter Minute zerschlagen.

Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie halten können?
Stern: Ich habe einen letzten Brief von ihnen aus Warschau erhalten, das sagte alles. In Hildesheim gab es zwei Familien, die meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwester zu helfen versucht hatten, so gut sie es eben vermochten. Ich konnte 1945, noch in Uniform, nach Hildesheim reisen und erfuhr von einer dieser Familien Näheres über die Deportation.

Sie sind einer der Ritchie Boys gewesen, die nach der kämpfenden Truppe in der Normandie landeten?
Stern: Ja.

Und Sie haben deutsche Kriegsgefangene und Überläufer verhört?
Stern: So ist es. Es ging darum, wichtige militärische Details aus diesen Männern herauszuholen. Am 27. Januar werde ich in Anerkennung meiner damaligen Tätigkeit den Orden eines Chevaliers der französischen Ehrenlegion verliehen bekommen.

Sie waren damals gerade 22 Jahre alt. War es nicht schwierig, diesen Deutschen gegenüberzutreten? Welches Bild gaben sie ab?
Stern:  Zunächst, in den ersten Wochen, waren sie noch ziemlich gewiss, dass sie unsere Invasion zurückschlagen würden. Später wurde es ihnen bewusst, dass der Krieg verloren sein würde.

Sie haben wirklich 1944 noch geglaubt, gewinnen zu können?
Stern: Oh ja! Jedenfalls gab es viele, die glaubten, noch an beiden Fronten siegen zu können. Andere aber nicht, sie waren froh, in Gefangenschaft zu sein und haben auch bereitwillig geholfen.

Gab es ein Bewusstsein von Schuld?
Stern: Einige waren überzeugt, den richtigen Befehlen gefolgt zu sein. Andere sagten, sie seien auf Hitler hereingefallen. Einer war Kommunist, hatte im Konzentrationslager gesessen, war dann entlassen und in die Truppe gesteckt worden. Der ist übergelaufen, sobald er konnte. Es gab also ein breites Spektrum. So hatte ich auch mit einem Arzt zu tun, der an dem Euthanasieprogramm beteiligt gewesen war. Der sagte, es sei doch so, dass man ein Volk reinigen müsse. Der war vollkommen überzeugt davon und sagte es auch offen.

Wie fühlten Sie sich nach solchen Gesprächen?
Stern:  Zunächst, 1944, war unsere Aufgabe ja rein militärischer Natur: Es ging nur darum, taktische und strategische Informationen zu sammeln. Später, um die Jahreswende 1944/45, als wir auch Kriegsverbrecher entlarven sollten, bin ich stärker mit den politischen Anschauungen der Gefangenen konfrontiert worden. Aber auch hier ging es vor allem darum, Informationen zu erlangen.

Gleichwohl muss es ernüchternd gewesen sein, auf verblendete Menschen zu treffen?
Stern:  Allerdings.

Sie trafen ja auch auf  Menschen, die aus dem gleichen Land stammten, mit denen Sie aufgewachsen waren.
Stern:  Einer der etwa 1 000 Männer, die ich zu befragen hatte, war in der Tat Mitglied des selben Turnvereins gewesen, dem auch ich angehört hatte. Ich erkannte ihn anhand seines Soldbuches. Er war erstaunt, wie viel ich über ihn wusste. Aber ich habe mich nicht zu erkennen gegeben, es war uns streng verboten, persönliche Dinge preiszugeben. Heute weiß der Mann natürlich davon. Er lebt noch. Ich habe mich nach ihm erkundigt.

Waren die Begegnungen nicht doch deprimierend für Sie?
Stern: Man war abgehärtet. Auch, als ich es mit Kriegsverbrechern zu tun bekam, war ich nicht deprimiert. Es war eine Aufgabe, die wir zu erfüllen hatten. Und es gab 1945 auch keine Überraschungen mehr. Wir wussten, was vorgefallen war. Es war eine langsam wachsende Erfahrung, ein Lernprozess. Wir wussten immer mehr über die Ausmaße des Horrors.

Sie haben dann in den USA Literaturwissenschaften und Germanistik studiert, sind ein angesehener Universitätsprofessor geworden - und ein Botschafter der Verständigung mit den Deutschen. Woher haben Sie die Kraft dazu genommen?
Stern: Man kann keine Pauschalurteile fällen. Es gab ja Anständige unter den Deutschen. Mit denen hatten wir auch zu tun. Und es gab Menschen wie jene, die meinen Eltern geholfen haben. Diese alle   in einen Topf zu werfen, wäre falsch gewesen. Und es kam eine neue Generation nach dem Krieg; viele suchten meine Vorlesungen an deutschen Universitäten auf und wollten in Kontakt treten mit mir. Das habe ich als ein Zeichen gesehen für ein nationales Lernen aus der Vergangenheit.
 Ich hoffe, dass dieses Bild jetzt nicht in den Schatten tritt. Erinnern Sie sich, wie wir das Gespräch begonnen haben!

Es ist ein Bogen, in der Tat. Und wie anders als durch das Wort sollte man die Hoffnung stärken?
Stern:  Meine Hoffnung ist, dass die deutschen Pädagogen dieser Aufgabe gewachsen sind. Und nicht nur die, sondern auch Sie und Ihre Kollegen als Journalisten. Denn darauf kommt es an: Sich zu wehren, wenn es gefährliche Zeichen gibt.

Wir haben noch kein Wort über Ihre Beziehung zu Lessing und Weill gesprochen.
Stern:  Lessing und die Aufklärung sind bei mir geblieben, man hat mich manchmal einen Sohn der Aufklärung genannt (lacht). Ich war froh, als ich die Gelegenheit erhielt, die Lessing-Gesellschaft und das Lessing-Jahrbuch mitzubegründen. Mehrere Sommer habe ich zwischen den Semestern in Wolfenbüttel verbracht, in der Bibliothek gearbeitet und über die Aufklärung geschrieben.

Und wie kamen Sie zu Weills Werk?
Stern:  Ich war besonders durch die Bekanntschaft mit Lotte Lenya, Weills Witwe, und meine Übersetzungen von Brecht und Weill auf dieses Thema aufmerksam geworden. Und  schließlich wurde ich zum Vizepräsidenten der Kurt-Weill-Stiftung. Im nächsten und übernächsten Jahr planen wir übrigens, ein Kurt-Weill-Fest in Berlin zu veranstalten.

Wird dies in Kooperation mit dem Dessauer Kurt-Weill-Fest geschehen?
Stern:  Sie werden auch mitwirken. Aber die Einzelheiten sind noch nicht ausgearbeitet. Ich glaube aber, wir werden uns auf die Kurt-Weill-Gesellschaft in Dessau berufen und bei diesem Projekt auch zusammenarbeiten.

Eine letzte Frage: Wie werden Sie Ihren Geburtstag verbringen?
Stern:  Ich habe keine Ahnung. Aber ich höre munkeln, dass man etwas für mich plant. Allerdings wird mein Geburtstag wohl stark im Zeichen der Auszeichnung stehen, die ich von französischer Seite bekommen werde.  (mz)