1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Gustav Seibt über den Dessauer Fürsten Franz: Gustav Seibt: Historiker spricht über Dessauer Fürsten Franz

Gustav Seibt über den Dessauer Fürsten Franz Gustav Seibt: Historiker spricht über Dessauer Fürsten Franz

09.08.2017, 13:18
Er begriff sich als „Vater“, eher als Patriarch denn als erster Diener des Staates: Franz von Anhalt-Dessau, 1762 gemalt von Lisiewsky
Er begriff sich als „Vater“, eher als Patriarch denn als erster Diener des Staates: Franz von Anhalt-Dessau, 1762 gemalt von Lisiewsky Ksdw/ Heinz Fräßdorf

Nach 59 Regierungsjahren starb heute vor 200 Jahren Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817), der Schöpfer des Weltkulturerbes Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Als Goethe-Forscher und Historiker ist dem Berliner Publizisten Gustav Seibt die historische Gestalt des Fürsten gut bekannt. Wer war dieser Mann? Was hat er hinterlassen? Die Fragen stellte unser Redakteur Christian Eger.

Herr Seibt, vor 200 Jahren starb Leopold Friedrich Franz. Hat Deutschland diesem Fürsten etwas zu verdanken?
Gustav Seibt: Konkret natürlich das Gartenreich, ein Kunstwerk, das sich in jedem Frühjahr erneuert und das jedermann offen steht. Ideell das Bild einer besseren deutschen Möglichkeit.

Besser als was?
Als das dominante Bild des friderizianischen Preußens in dieser Zeit.

Was schätzen Sie an den Wörlitzer Anlagen?
Wenn ich sie betrete, komme ich in einen anderen Zustand. Etwas feierlich gesagt: Die Seele wird weit wie bei herrlicher Musik. Die Gärten sind das bessere Gesamtkunstwerk: Sie überwältigen nicht, sie bezaubern, das ist der Unterschied zu Bayreuth.

Enthalten die Wörlitzer Gärten Botschaften für unsere Gegenwart - oder sind es nur noch schöne, aber altmodische Anlagen?
In einem Begriffspaar gesagt lautet die Botschaft: Verstand und Gefühl oder - mit Jane Austen - Sense and Sensibility. Sie vereinen Schönheit mit intellektuellem Reiz, denn alles hat hier tiefere Bedeutung, in die man sich versenken kann, zugleich ist es „unendlich schön“.

In der neueren Dessau-Wörlitz-Forschung wird die Herrschaft des Fürsten Franz eher kritisch betrachtet. Von Tendenzen einer „Miniaturdespotie“ ist die Rede. Es gilt nicht mehr als selbstverständlich, von einer „Dessauer Aufklärung“ zu sprechen. Was meinten die Franz-Zeitgenossen, wenn sie von „Despotie“ sprachen? Was sollten wir heute im Blick auf das 18. Jahrhundert damit bezeichnen?
Für die Aufklärung war „Despotie“ das Schreckbild von Herrschaft aus launenhafter Willkür. Und natürlich kann man das ganze Gartenreich als großartige „Laune“ verstehen, als „folly“, wie es im Englischen heißt. Man lese dazu Wielands Roman „Der Goldene Spiegel“. Franz begriff sich als „Vater“, eher als Patriarch denn als erster Diener des Staats. Das entscheidende Kriterium ist die Herrschaft des Rechts: Konnte der Fürst die Justiz außer Kraft setzen? Friedrich der Große tat das durchaus - ein deutscher Kleinfürst war daran, jedenfalls im Grundsatz, vom Reichsrecht gehindert. Insofern gibt es im Deutschland des 18. Jahrhunderts nur gebremst despotische Verhältnisse, bei aller punktuellen Willkür. Sogar Hume, Rousseau und Montesquieu haben das anerkannt. Fürst Franz betrieb Mikromanagement wie ein großer Grundherr - das war bei der Gentry in England nicht anders, die Justiz dort war eher grausamer als in Deutschland.

Bildungspolitisch setzte Franz früh auf den Aufbau eines Volksschulsystems, auf die sogenannte Volksaufklärung. Die Förderung einer aufklärerischen Debattenkultur war weniger seine Sache. Kann es eine vollwertige Aufklärung „von oben“ gegeben haben? Anders gefragt, kann als Aufklärung gelten, wenn allein der Fürst verfügt, was als Aufklärung zu gelten hat?
Solange, wie in den anhaltinischen Fürstentümern, das Bürgertum schwach ist und keine großen Städte bestehen, sehe ich wenig Alternativen zu fürstlich alimentierten Bildungseinrichtungen. Elementarschulen stellen die wichtigste Voraussetzung von Aufklärung her, nämlich Lesefähigkeit. „Debattenkultur“ gab es damals in Großstädten und an den Höfen, außerdem an den Universitäten. Für die Universität Jena legten die kleinen sächsischen Herzogtümer, darunter Weimar, ihr Geld mühsam zusammen.
In Anhalt fehlten dafür schlicht die Mittel - schon deshalb konnte der Fürst ja wenig verfügen: An der nächsten Landesgrenze sah es schon anders aus. Diese Fragmentierung war übrigens auch ein gern übersehener Freiheitsvorteil für die Deutschen, wenn man an die Zensur denkt. Und Franz selbst rezipierte ja fast alles Wichtige zwischen Sterne, Rousseau, Winckelmann, Herder und Goethe. Seine Frau las Klopstock-Oden mit Bleistift! Nur Voltaire kommt nicht vor - auffälligerweise.

Kosmopolitismus, Philanthropismus, überkonfessionelle Religiosität, allgemeine Glückseligkeit als Staatsziel: Das waren Leitbegriffe der 1770er und 1780er Jahre, denen sich auch Franz in dieser Zeit verpflichtet fühlte. Waren das Mode-Worte?
Ja, das war modisch im Sinne von interessant und neu. Zu jedem dieser Begriffe gibt es eine ausgedehnte essayistische Literatur. Wie verträgt sich Kosmopolitismus mit dem Gehorsam gegenüber dem Landesherren? Darüber schrieb Wieland Dialoge. Viel umstrittener waren Religionsfragen, man denke an Lessing. Nur das Aufbrechen des konfessionellen Panzers erlaubte es, die Gleichstellung der Juden überhaupt zu erwägen. Allgemeine Wohlfahrt als Staatszweck war ein Ansporn zu konkreten Verbesserungen, bis in die Landwirtschaft. Damit war der absolutistische Maßnahmenstaat herausgefordert, aber auch einem Kriterium unterworfen: Ist es sinnvoll, was die Obrigkeit tut? Selbst wenn die Fürsten hier nur Reklame machten, erkannten sie das Ziel an. Hinter all dem steht die Idee der Menschheit, an der wir seither festhalten.

Das Gartenreich ist heute die populärste Schöpfung des Fürsten. Seit dem Jahr 2000 ist es Weltkulturerbe. Aber es ist es auch weltbekannt?
Das kann ich nicht bestätigen. Ich hatte 2013 die Freude, einen ganzen Jahrgang des Wissenschaftskollegs zu Berlin mit Forschern, also Hochgebildeten, aus aller Welt hierherzuschleusen - ein wundervoller Tag, der die Gäste staunen ließ, was es in Deutschland alles gibt.

Herr Seibt, vor vier Jahren forderten Sie öffentlich, Sachsen-Anhalt aufzulösen. Das somit eingesparte Geld sollte besser in die Erhaltung des Kulturerbes gesteckt werden. Sind Sie bei der Forderung geblieben?
Es hat sich ja nichts verändert: ein Flächenland mit willkürlichen Grenzen, ohne historisches Fundament, mit niedriger Bevölkerung leistet sich eine vollausgebaute Regierung, die Millionen verschlingt, während im Land haufenweise unterfinanzierte Kulturdenkmäler herumstehen. Eine behutsame Länderreform täte ganz Deutschland gut.

Der auch von Ihnen kritisierte Frühaufsteher-Slogan wurde abgeschafft. Das Land wirbt jetzt für sich als „Ursprungsland der Reformation“. Eine Bauhaus-Parole soll kommen. Ist das nun besser?
Jedenfalls sind Hinweise auf die Geschichte interessanter als Aufforderungen zum Dienst. Wichtiger wäre es, Kirchen und Museen auch nach 17 Uhr offen zu halten, für Besucher mit langen Tagen in einem Gebiet mit großen Distanzen.

Sollte Sachsen-Anhalt auch einmal werbewirksam auf Franz setzen?
Alles, was einzigartig und groß ist, kann dem Land nützlich sein, wenn es bekannt ist. Wenn Sachsen-Anhalt sich eine eigene Tradition „erfinden“ will, um den Ausdruck der Historiker aufzugreifen, dann wäre ein Bezug auf Franz auch politisch hilfreich: Denn bei aller historischen Differenzierung steht er doch für Ideale der Aufklärung, des Fortschritts.
Jedenfalls ist er unbrauchbar für völkische Vorstellungen von der deutschen Geschichte. Italien und England an der Elbe - das ist doch ein schöner Slogan in dieser Zeit. Solche Gartenlust ist politisch!

Ein Gedenk-Gondelcorso mit Musik findet am Mittwoch um 13 Uhr auf dem See in Wörlitz statt. Am Donnerstag um 17 Uhr öffnet in der Orangerie im Georgium in Dessau die Ausstellung „Der Fürst in seiner Stadt“ (bis 22. Oktober).

Gustav Seibt, 1959 geboren, lebt als Historiker, Journalist (Süddeutsche Zeitung) und Autor in Berlin. Er veröffentlichte unter anderem: „Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung“ (2008), zuletzt „Mit einer Art von Wut. Goethe in der Revolution“ (2014). (mz)