Günther Jauch Günther Jauch: "Die Häme müssen sie in Kauf nehmen"
Köln - Im Mai 2006 sprach die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer mit dem „Spiegel“, Thema waren die Politiker und deren Verhalten in der Öffentlichkeit: „Ich, Alice Schwarzer, kann Ihnen aus der Summe meiner gerüttelten Erfahrungen sagen: Es geht nicht darum, wie man es macht oder wie man aussieht, es geht darum, was man tut."
„Ich weiß, dass das doof ist. Aber ich zahle volle Steuern." Das sagte FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß 2005 in einem Interview mit der „Bild"-Zeitung. Und später: „Ich bin kein schlechter Mensch“.
„Doch muss sich die Verantwortung der Managerklasse nicht nur bei den Einkommensansprüchen erweisen. Sie muss sich darüber hinaus in einer sauberen, ehrlichen Geschäftsmoral widerspiegeln, wenn Big Business nicht schlechthin mit organisierter Kriminalität in eins gesetzt werden soll." Der frühere „Zeit“-Herausgeber Theo Sommer philosophierte 2006 in einem Vortrag über die „Die Verantwortung von Großkonzernen in der globalisierten Welt. Und an anderer Stelle: „Ich bin kein Uli Hoeneß“.
Nach Moral und Hochmut kommt der Fall. Und natürlich kommen auch Will, Illner, Maischberger, Beckmann, Plasberg oder eben Günther Jauch. Pranger oder Wächter, was bedeutet diese Form der Öffentlichkeit? Da mag es unterschiedliche Sichtweise gaben.
Jetzt nur noch die Steuerhinterzieherin
Also, Alice Schwarzer und Co und deren Steuervergehen, ihre Beichten Thema bei Jauch, nach dem „Tatort“: Ja, wir haben hinterzogen! Nikolaus Blome, Mitglied der Chefredaktion des „Spiegel“, sagte knapp: „Veröffentlichung gehört dazu“. Auch und gerade natürlich, wenn es um die Promis geht, die ansonsten so gerne auch die Medien suchen, brauchen, instrumentalisieren.
Der Unternehmer Dirk Roßmann sekundierte: Dass aus der Feministin Schwarzer nun ausschließlich die Steuerhinterzieherin geworden ist, wollte er zunächst nicht so sehen. Aber: „Meine Haltung hat sich geändert“. Sollte der „Fall“ eben noch nicht, wie anfangs behauptet, abgeschlossen sein – dann muss die Öffentlichkeit informiert werden.
Will sagen: Es ist ja so nachvollziehbar, dass eine ganze Meute Witterung aufgenommen hat. Endlich, die Mutter aller Feministinnen, die mit hoher Moral, erhobenem Zeigefinger und schriller Stimme gegen alle Machos und Ungerechtigkeiten fauchte – sie selbst hat sich offensichtlich der schnöden Steuerhinterziehung schuldig gemacht. Blome versuchte auch noch, den Schaden fürs Schwarzersche Lebenswerk abzumildern: „30 Jahre Kampf für die Frauenrechte sind nicht ausradiert“. Wohl eher Lippenbekenntnisse.
Hat Brehme hinterzogen?
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erinnerte sogleich die Runde, vielleicht sogar die ganze Nation: „Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“. Wie Recht der Christdemokrat doch hat, aber gleich müssen wir in Deckung gehen, denn es folgt ohne Unterlass der nächste Steinhagel: Vielleicht hat auch Alt-Fußballer Andreas Brehme hinterzogen. Oder vielleicht auch nicht. Weiter recherchieren und notfalls dementieren kann man immer noch.
Auch wenn er profitieren könnte, hielt sich die Begeisterung des Finanzministers in Grenzen: „Ich freue mich nicht darüber, wenn Steuerhinterzieher auffliegen. Aber: Wer in der Öffentlichkeit steht, muss andere Maßstäbe akzeptieren.“ Zwei Paar Schuhe mithin: Da ist das rechtsstaatliche Problem auf der einen, die mediale Aufbereitung auf der anderen Seite.
Und so zeigte die Diskussion bei Jauch denn doch eines: Der Verdacht hat über die Unschuldsvermutung gesiegt. Also kein Pardon für die Steuerbetrugsverdächtigten. Wenn dann allerdings die Einlassungen der Erwischten bekannt werden, dann bekommt sogar Schäuble manchmal fast ein bisschen Mitleid: Deren Entschuldigungen seien doch „recht albern. Die Häme müssen sie in Kauf nehmen“. Vielleicht wäre es doch am besten, sie gar nicht zu befragen, denn: „Bekenntnisse kennen wir aus dem Stalinismus“.
Mehrzahl der Sünder kooperiert
Margrit Lichtinghagen, Richterin und Steuerermittlerin im Fall Zumwinkel, war nun ein Gast, der mit den Ertappten tatsächlich zu tun hatte. Was tun, wenn diese die Kooperation verweigerten? Was sie, der Staat wird’s danken, in der Mehrzahl wohl nicht getan haben: Viele wären auch tatsächlich einsichtig. Aber stärker, als das im Moment der Fall sei, solle bei einer Selbstanzeige die Auflage für den Steuerbetrüger härter sein, um so wenigstens etwas soziale Gerechtigkeit zu erzielen. „Es ist schwer klarzumachen für den Normalbürger, dass der reuige Steuersünder nicht extra zahlt“.
Gerade Margrit Lichtinghagen wurden in ihrer Zeit als Steuerermittlerin durchaus drastische Methoden nachgesagt („Dann packen Sie doch schon mal Ihre Zahnbürste ein“)
Schäuble sträubte sich da: Man solle keine Aussagen etwa durch U-Haft oder ihre Androhung erzwingen, man dürfe schweigen, man müsse sich nicht selbst beschuldigen. Er spricht von „öffentlichen Erregungszuständen“. „Verjährung abschaffen ist rechtsstaatlicher Unsinn“, ist sich der CDU-Politiker sicher. So richtig begründen kann er diesen offensichtlichen Persilschein für die „bessere“ Gesellschaft nicht.
Vielleicht sind dem Finanzminister ja auch volle Kassen lieber als volle Gefängnisse? Und, meint der Jurist Schäuble: „Irgendwann muss auch alles mal ein Ende haben“.
Die Angst vor den Medien
Dass die öffentliche Debatte aber wohl eher noch am Anfang steht, zeigte auch der Abend bei Jauch. Über die Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland wurde gesprochen, von Steuermoral, von Funktionseliten und allgemeiner Kriminalität. Aber in keinem strafrechtlich relevanten Bereich gibt es die strafbefreiende Selbstanzeige. In allen anderen Bereichen wird eher von Strafverschärfung gesprochen.
Der Unternehmer Roßmann lieferte den Blick nach vorne, den Weg aus der Misere: Alles wird gut, wenn denn der Mensch nur mehr Selbstwertgefühl habe, dann würde er auch soziale Verantwortung übernehmen. Momentan hätten die Sünder eben eine solche Angst vor den Medien. Also die straffreie Selbstanzeige und „dann bekommt der Staat Geld und es gibt eine bereinigende Wirkung“. Und dann outete sich der Drogeriemarkt-Unternehmer noch selbst als „exotisches Phänomen: „Ich zahle gerne Steuern, die Höhe der Steuern ist fair“.
Stichwort Fairness: Die frühere Steuerermittlerin Lichtinghagen, die jahrelang gegen politische Ignoranz und die vorherrschende Meinung kämpfte, das Kapital, dieses „scheue Reh“ fliehe vor dem unersättlichen Staat, geriet nach dem Fall Zumwinkel unter Druck. Selbst ihre Töchter wurden – medial – bedrängt, sie zog die Notbremse. Heute beschäftigte sie als ich als Richterin mit Verkehrssachen.
Und Günther Jauch versuchte am Ende auch noch ein Stück Rehabilitation der Feministin Alice Schwarzer. Ohne Häme und ohne Mitleid kann man prognostizieren: Sie ist ab jetzt die Steuerbetrügerin.