Günter Wand wird 90 Günter Wand wird 90: Der Baumeister der Klang-Kathedralen

Halle/MZ. - Bis 1974 hatte Wand still und effektiv dasKölner Gürzenich-Orchester zum herausragendenKlangkörper geformt. Da war der gebürtigeWuppertaler 62, er hätte sich in die Renteverabschieden können nach großen Verdienstenum das Kölner Musikleben und - weniger bekannt -die zeitgenössische Musik. Doch Wand begannneu und ließ sich nach getaner Kapellmeisterpflichtvon großen Orchestern einladen. Ab 1977 produzierteer im WDR sämtliche Bruckner- und Schubert-Sinfonien.Und spät, aber nicht zu spät ging einer derhellsten Sterne am deutschen Dirigentenhimmelauf, der in Wahrheit schon Jahrzehnte geleuchtethatte: "Nicht ich bin es, der eine Karriereverpasst hat", sagt der Maestro trocken. "DerMusikbetrieb hat mich verpasst."
Ob Beethoven, Brahms oder Schubert - was Wandvon da an aufnahm, sicherte ihm Preise undeinen Kultstatus, der durch seine Abneigunggegen Star-Allüren und den Jet-Set-Rummelbeträchtlich stieg. Sein Lebenswerk aber warenund sind die neun Sinfonien, die klingendenKathedralen Anton Bruckners. Sie hat er mitdem WDR-Sinfonieorchester eingespielt undmit dem Orchester des Norddeutschen Rundfunks,dessen Chefdirigent er von 1982 bis 1991 war.Ein dritter Bruckner-Zyklus mit den BerlinerPhilharmonikern ist gerade, molto grandioso,bei Sinfonie Nr. 8 angekommen.
Günter Wands Bruckner-Sinfonien sind nichtspektakulär im eigentlichen Sinne: Er istweder ein gehetzter Sprinter noch ein bedeutungsschwererdeutscher Seelenquäler. Bei ihm herrscht vielmehreine selten gewordene Unaufgeregtheit, einevollkommene Ausgewogenheit der Tempo- undDynamikproportionen, eine magische Natürlichkeitund Klarheit, für die einem nur der hilfloseHalbsatz "so und nicht anders" einfällt.
"Wenn die Beziehungen von Bruckners Klangblöckenzueinander nicht stimmen, wenn der Mörtelnicht hält, fällt das Gebäude zusammen", hatWand einmal konstatiert. Das Wissen um dieMischung hat er im Kopf gespeichert.
Wie die Interpretationen Günter Wands denWorten entgleiten, so bleibt die Aura desDirigenten dem Auge verborgen: Über dem im90-Grad-Winkel eingerasteten Pult malt er,den Rücken gebeugt und das Auge leuchtend,nicht viel mehr als Plus- und Minuskringelin die Luft. Der Rest ist Magie.
Buchtipp: Günter Wand: "So und nichtanders", hrsg. von Wolfgang Seifert, Hoffmannund Campe 1998, 35,95 .