Günter de Bruyn Günter de Bruyn: Schriftsteller wandert über die Prachtstraße

Berlin/dpa. - Günter de Bruyn hat offenbar in Preußen so etwas wie eine Heimat gefunden. Nach seinem preisgekrönten Buch über «Preußens Luise» flaniert der Schriftsteller jetzt «Unter den Linden». Über die Prachtstraße in Berlins Mitte taucht der 76- Jährige, der einst in Berlin aufwuchs und nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR blieb, mitten hinein in die preußische Geschichte. Wer sich von ihm führen lässt, kann einen bunten Bilderbogen verblüffend lebendiger Gestalten entdecken. Und die zahlreichen historischen Abbildungen ergänzen den literarischen Text.
Am Anfang steht das Ende. In den Trümmern des Jahres 1945 markiert de Bruyn die Eckpunkte seines Streifzuges: Im Westen das zerschossene Brandenburger Tor, und rund anderthalb Kilometer weiter im Osten ragt das Skelett der Schlosskuppel aus den Ruinen. Das Tor blieb mehr als vierzig Jahre Zeichen der Zusammengehörigkeit beider Teile Deutschlands und ist inzwischen zu altem Glanz aufpoliert.
Das Schloss hingegen ist verschwunden, geschleift in den frühen Tagen der DDR. Das neu vereinte Deutschland streitet nun um seinen Wiederaufbau, den de Bruyn vehement befürwortet. Denn nur die Schlütersche Schlossfassade könne «die hässliche Lücke in Berlins Mitte füllen». Im hartnäckigen Widerstand dagegen erkennt der Schriftsteller den bei Berlinern «besonders ausgeprägten Mangel an Ehrfurcht vor dem historisch Überkommenen». Auch dieser Geschichtslosigkeit (und nicht nur den Zerstörungen des Krieges) seien die Paläste im westlichen Teil der Linden zum Opfer gefallen.
Das Erbe der Vergangenheit mit repräsentativen Bauten wie dem Zeughaus oder der Neuen Wache, aber auch der Oper, der alten Bibliothek und der Humboldt-Universität prägen den östlichen Teil der Straße. Auf engem Raum ballt sich der «Dualismus von Geist und Macht», wie de Bruyn das nennt. Die Akademie der Wissenschaften lag an den Linden ebenso wie die Sternwarte. In den Erdgeschossen aber befanden sich die Ställe der königlichen Familie oder von Kavallerieregimentern. Kinder der königlichen Bediensteten wie der Schriftsteller Karl Gutzkow wuchsen in engem Kontakt mit Soldaten, Künstlern und Gelehrten in das 19. Jahrhundert hinein - das spannendste Kapitel des Buches, denn de Bruyn schildert darin detailreich, was für ihn den Kern preußischen Geistes ausmacht.
Aber de Bruyn erzählt noch mehr Anekdoten. Vom verbummelten Studenten Heinrich Heine ebenso wie vom Maler Max Liebermann, der von seinem Haus am Brandenburger Tor den Fackelzug zur «Machtergreifung» der Nazis beobachtete. Denn der Schriftsteller weiß, was die Leser erwarten: einst hatte Theodor Fontane, Dichter und Kritiker, das Fehlen solcher Geschichten in einem Buch von Julius Rodenberg bemängelt.
Günter de Bruyn: Unter den Linden - Geschichten um eine Straße
Siedler Verlag, Berlin,
192 S., 90 Abb., Euro 18,--
(ISBN 3-88680-789-4)