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Grimmaer Liederflut Grimmaer Liederflut: Ein dunkler Engel landet im Muldental

Von Andreas Hillger 15.08.2004, 16:26

Grimma/MZ. - Zwei Sommer später arbeitet sich die sächsische Stadt noch immer an den Folgen ab, obwohl die unmittelbaren Spuren des Mulde-Hochwassers inzwischen fast völlig verschwunden sind. Statt dessen findet man in der Fußgängerzone ein "Mahnmal" aus Schuhen im Schlick, erinnert ein Schaufenster an die "Totalzerstörung" des dahinter gelegenen Ladens. Und weil das kollektive Trauma so tief sitzt, dass einige Hausbesitzer die rohen Mauer-Manschetten offenbar gar nicht neu verputzen wollen, wirbt nun auch ein Festival mit dem Reizwort. Die "Liederflut" schwappte am Wochenende erstmals durch Grimmas Straßen - mit den oben erwähnten Begleiterscheinungen.

35 Bands und Solisten aus aller Welt hatten die Veranstalter aufgeboten, um auf diversen Bühnen unter freiem Himmel sowie in den beiden großen Kirchen ihre Provinz zu einem Weltraum zu weiten. Dass rund 80 Prozent der insgesamt 17 000 Besucher von außerhalb anreisten, wurde am Ende der drei Tage zum Programm erklärt: Immerhin habe man sich vor allem für die erfahrene Hilfe bedanken wollen - und deswegen auch ein überregionales Niveau angestrebt.

Das wurde vielfach erreicht - egal, ob man nun die seligen Vokal-Sätze des Ensemble Amarcord oder die artistischen Triller der Intifada-Sängerin Mariem Hassan aus der West-Sahara, die jiddischen Klagen eines Karsten Troyke oder die Brachial-Balladen eines Jens-Paul Wollenberg zu Grunde legt. Für die großen Ereignisse freilich war die kleine Stadt dann doch zu eng. Und darum wurde eine Bühne an das Ufer eben jenes Flusses gebaut, der jetzt wieder so träge vorbeigleitet.

Hier gab es am Samstagabend zunächst eine Soul-Session, die tatsächlich an besten Fluthelfer-Geist erinnerte. Beim Auftritt von Rolf Stahlhofen und Dirk Zöllner spielten sich der Mannheimer und der Berliner nicht nur wechselseitig Hits wie "Große Mädchen weinen nicht" und "Heiligenschein aus Phosphor" vor und zu, sondern formierten auch ihre beiden Bands zu einer massiven Klang-Kette.

Die wurde erst durchbrochen, als das Rock-Equipment dem leicht veränderten Instrumentarium für einen Kammermusik-Abend weichen musste. Zwei Flügel ließen nun auf die Ankunft eines Himmelsboten hoffen, selbst wenn der eine leicht gestutzt war und der andere schwarz glänzte. Tatsächlich schwebte der Star eine Stunde vor Mitternacht an seinen Platz hinter dem Mikrofon - allerdings nur, weil sich Gianna Nannini auf Grund einer Verletzung von einem Bodyguard zum Auftritt tragen ließ.

Gemeinsam mit dem Pianisten Christian Lohr und einem Streichquartett aus Neapel hat die Italienerin alte Lieder in neue Form gegossen, die den klassischen Status zugleich behauptet und ironisiert. Und gerade weil sich ihre Begleiter als Hardcore-Clayderman und als Rondo Neapolitano profilieren, ist sie selbst besser denn je. Die Eleganz von "Maschi" und "Aria" wird in der Säure von "Contaminata" gelöst, in "Latin Lover" treibt sie ihre Stimme als rostigen Nagel direkt ins Herz. Da genügen keine Feuerzeuge, weshalb am anderen Ende des Festplatzes ein ganzer Scheiterhaufen entfacht wird. Doch Giannas Lieder brennen länger - und Grimma findet in "Ragazzo dell' Europa" den gebührenden Platz.