Grassi-Museum Grassi-Museum: Auf der Schwelle zwischen Kunst und Handwerk
LEIPZIG/MZ. - Mit der Ausstellung "Gefäß / Skulptur" lässt das Team um Kurator Olaf Thormann dort nun nicht nur die deutsche und internationale Entwicklung der Keramik seit 1946 Revue passieren. In der überbordenden Fülle von 280 Künstler-Handschriften spiegelt sich zugleich der enorme Zugewinn, der dem Museum seit der Wende in Form von Stiftungen und Schenkungen zuteil geworden ist.
Großzügige Mäzene
Denn nachdem man zu DDR-Zeiten vor allem auf den Ankauf aus ostdeutschen Werkstätten angewiesen war, schlossen private Sammler seither die Lücken im Bestand - im selben Maße, wie die öffentlichen Ankauf-Mittel zusammenschmolzen. Dass man nun auch einen repräsentativen Überblick über die westdeutschen Tendenzen sowie ausgewählte Beispiele aus Asien und Amerika präsentieren kann, ist also direkt dem bürgerlichen Engagement großzügiger Mäzene zu danken - und führt damit auch zurück zu den Wurzeln des Museums.
Der Schwerpunkt freilich liegt noch immer auf der DDR-Keramik - und damit bei einer Szene, die sich einerseits um die HB-Werkstätten im brandenburgischen Marwitz und andererseits um die Hochschule Burg Giebichenstein in Halle zentriert. Aus Hedwig Bollhagens legendärer Manufaktur finden sich in Leipzig Unikate, die von den kunstgewerblichen Pötten und Töppen der Nestorin meilenweit entfernt sind - auch deshalb, weil Heidi Manthey mit ihrer pittoresken Bemalung gelegentlich für das heitere Finish sorgt. Die Hallenser aber sind omnipräsent: Gerd und Astrid Lucke, die sich später in Weißenfels niederließen, finden sich ebenso wie Ute Brade oder Grita Götze, Antje Scharfe und Gertraud Möhwald sowie ihr Sohn Martin. Es sind erstrangige Arbeiten dieser Künstler, die man am unverwechselbaren Personalstil sofort erkennt - und die nicht zuletzt das Thema der Schau einlösen.
Denn die These, die durch einen eher trennenden als verbindenden Schrägstrich bekräftigt wird, ist ja diese: Der Keramik ist erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Rang einer eigenständigen Kunst zugewachsen, nachdem sie zuvor eher im Bereich des Handwerks siedelte. Das ist - gerade angesichts der Burg Giebichenstein und des Bauhauses - zwar zeitlich zu kurz gegriffen, in der Sache aber deutlich: Die Emanzipation vom Gefäß zur Skulptur ist unübersehbar, das gewachsene Selbstbewusstsein deutlich. Dennoch bleibt es eine Eigenart dieser Kunst, dass sie sich immer mit den Gegebenheiten des Materials auseinandersetzt: Edles Porzellan wird mit fragiler Kostbarkeit assoziiert, dem Tonscherben bleibt selbst unter der Glasur das Erdige eigen.
Monumentale Entwürfe
Spannend wird die Schau vor allem dort, wo der affirmative Einsatz des Materials zugunsten spannender Konfrontation aufgegeben wird: Pompeo Pianezzola beispielsweise zeigt mit seiner "Pagina Nera Terra" buchstäblich das, was der Titel verspricht - wobei die "Seite Schwarze Erde" eben nicht aus Papier, sondern aus hauchdünner Keramik geformt wird. Sabine Hellers siebenteiliger Skulpturen-Zyklus "Die Schildkröte geht immer wieder zum Strand" überwältigt hingegen durch seine bloße Monumentalität - ebenso wie Heinke Binders Quartett "d'Amour", das den Besucher als eines der Ergebnisse vom Bad Schmiedeberger Bildhauer-Symposium bereits vor dem Eingang empfängt.
Neben umtriebigen Klassikern wie Jean Cocteau und Pablo Picasso, deren Schaffensdrang auch vor der Keramik nicht Halt machte, zeigt die Schau auch eher exotische Positionen. Dazu gehören gewiss Reinhold Rieckmanns narrative Skulpturen, die als Reste eines alten Thronsaales oder als Bunkerfragmente wie verlassene Bühnen wirken. Hier ist die Ambition größer als das Ergebnis - gerade weil das Material keine sinnstiftende Rolle mehr spielt. Wie einfach und eingängig ein Keramiker sein eigenes Metier hingegen zum Gegenstand seiner Kunst machen kann, zeigen in unmittelbarer Nachbarschaft die "Gefäßsilhouetten" - abstrahierte Formen, denen man mangels Volumen keinen Inhalt mehr geben kann. Die Urheberin der hintersinnigen Arbeit: Antje Scharfe, Professorin in Halle.
Ausstellung bis zum 1. März, Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr, Katalog 502 Seiten, 49,80 Euro