Götz Alys Abrechnung: «Unser Kampf 1968»
Berlin/dpa. - Ein «Mittäter» der 68er Jugend- und Studentenrevolte rechnet ab: Der 1947 geborene Publizist und Historiker Götz Aly wirft in seinem Buch «Unser Kampf 1968» einen «irritierten Blick zurück», wie es im Untertitel des Buches bei S. Fischer heißt.
Es ist auch ein «Blick zurück im Zorn» auf eine Rebellion, die seitdem alle zehn Jahre in schöner Regelmäßigkeit ihr historisches «Dienstjubiläum» mit mehr oder weniger kritischen oder nostalgischen Veröffentlichungen begeht und auch nach nunmehr 40 Jahren ebenso verteufelt wie verklärt wird.
Der «Mythos 68» übt offensichtlich auch nach bald einem halben Jahrhundert noch immer eine Faszination aus und wird vielleicht in der Geschichtsschreibung einmal in einer Reihe mit der bürgerlichen Märzrevolution von 1848 genannt werden. So meinte die Philosophin Hannah Arendt schon im Juni 1968: «Mir scheint, die Kinder des nächsten Jahrhunderts werden das Jahr 1968 mal so lernen wie wir das Jahr 1848» - vorausgesetzt, die Pisa-Studien verbessern sich und die Schüler von heute können mit 1848 überhaupt noch viel anfangen. Auch die heftigsten Kritiker der aufbegehrenden Jugend von 1968 konstatieren immerhin, dass nach 1968 nicht nur in Deutschland (West wie Ost, wo die Niederschlagung des «Prager Frühlings» eine ganz eigene Zäsur bedeutete) die Welt nicht mehr dieselbe war.
Ob sie nun besser oder schlechter wurde, darüber wird seitdem und im 40. «Dienstjubiläum» mit erneuter Heftigkeit erbittert gestritten. Für den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) haben die 68er «viel bewegt - und noch mehr zerstört», getreu ihrem «Kampfruf» oder Motto «Macht kaputt was euch kaputt macht». Schönbohm spricht im Berliner «Tagesspiegel» sogar von einem «Selbstbetrug einer ganzen Generation» und geißelt als «größte Sünde» der «selbsternannten Gesellschaftsveränderer» deren, wie er meint, «romantische Liaison mit den gewaltbereiten Radikalen».
Die Irritationen über «68 und die Folgen» sind also groß und reichen sogar wie nun bei Götz Aly bis zu Vergleichen mit der frühen nationalsozialistischen Sammlungs- und Protestbewegung am Ende der Weimarer Republik, einer Bewegung, der in ihren Anfängen auch ein gewisser romantisierender Hang zur totalen Gesellschaftsveränderung nachgesagt wird. Alys Vergleichsreihe 1968-1933 ist abenteuerlich und auch heftig angreifbar. Aber allein dadurch hat es der Zeitzeuge und «Mittäter» geschafft, dass seine Abrechnung unter den etwa zwei Dutzend jetzt erschienenen Büchern über die «68er» eine größere Aufmerksamkeit auf sich zieht. In manchen Wortmeldungen zu 68 werden ganz offenbar auch Rechnungen beglichen, manchmal wohl auch mit sich selbst.
Aly jedenfalls blickt auf ein «juste milieu von Egomanen» zurück, das sich bis in die späten 80er Jahre «zwischen Kranzler-Eck und Schlesischem Tor», den damals beliebten «Spielwiesen» der Demonstranten, etabliert habe. Er spricht von «linksradikaler Besserwisserei» und der Bildung eines rot-grünen Senats in West-Berlin (unter Walter Momper) «unter anderem zu dem Zweck, linke Projekte besser mit Steuergeldern zu berieseln». Und dem Studentenführer Rudi Dutschke, der am 11. April 1968 auf dem Berliner Kurfürstendamm niedergeschossen wurde, unterschiebt Aly ein «machthungriges Tagebuch-Stakkato». Auch «präpotente Wahnsinnige», «Flegel» und «irrational Getriebene» gehören zu Alys Vokabeln in seinem Blick zurück auf die 68er. Allein schon diese Wortwahl zeigt, dass hier ein Autor und einstiger «Mitaktivist» eine teilweise geradezu hasserfüllte Rückschau hält, die leider manche bedenkenswerte historisch-gesellschaftliche Analyse der Protestbewegung in dem Buch stark eintrübt oder sogar diskreditiert.
Für Aly gab es vor allem «verspielte Wohlstandsrevoluzzer», die «ihre Umsturzphantasien nie zur Tat» hätten werden lassen. Dass die Hausbesetzerbewegung Anfang der 80er Jahre, die die «Kahlschlagsanierung» gewachsener Stadtviertel mit ihren «Instandbesetzungen» verhinderten und so eine Besinnung einer bald als verheerend erkannten Stadtentwicklungspolitik in Deutschland einleiteten, sei nur angemerkt.
Aly stellt vor allem die Auswüchse und Verirrungen (zu Mao, Castro und den Rufen «USA-SA-SS» beispielsweise) oder tatsächliche kindische Begleiterscheinungen der damaligen Rebellion heraus. Eine billige und eben unkritische Methode, die den Ernst und die Tiefe eines wahren Epochenbruches im Nachkriegsdeutschland verniedlichen und verächtlich machen will. Interessant an dem Buch sind Alys Recherchen in den Akten des Bundeskanzleramtes, des Innenministeriums und des Verfassungsschutzes aus jenen unruhigen «68er» Tagen, die auch nach 40 Jahren mehr zum Nachdenken Anlass geben als es Alys Buch weismachen will - denn «die Revolte traf den Staat völlig unvorbereitet», wie es im Buch auch heißt.
Götz Aly
Unser Kampf 1968 - ein irritierter Blick zurück
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
255 S., 19,90 Euro
ISBN 978-3-10-000421-5