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Gottfried Benn Gottfried Benn: Erlöser mit Worten wird 50

06.07.2006, 07:39

Hamburg/dpa. - Seine Gedichte hängen bedrohlich über dem Abgrund der Unverständlichkeit. Doch gerade dabei kommen die Worte, nichtzuletzt die Substantive, zum Blühen und die Verse erlangen so einenunverwechselbaren Sound. Vielleicht ist es das, was die DichtungGottfried Benns auch 50 Jahre nach seinem Tod, am 7. Juli 1956, nochso anziehend macht.

Im Licht seiner hoch artifiziellen Texte droht mitunter das Lebendes Dichters zu verblassen. Benn selbst beförderte dies, indem ereinmal sein Leben so zusammenfasste: «Geboren 1886 und aufgewachsenin Dörfern der Provinz Brandenburg. Belangloser Entwicklungsgang,belangloses Dasein als Arzt in Berlin.»

In dem Maße wie Benn sein bürgerliches Leben herunterspielte,überhöhte er seine Existenz als Dichter. In dem Gedicht «GewisseLebensabende» heißt es gar: «Dante tot - eine große Leere / zwischenden Jahrhunderten / bis zu meinen Wortschatzzitaten -.»

In der Tat traute Benn allein der Dichtung, nicht zuletzt seinereigenen, die Kraft der Erlösung zu - symptomatisch hierfür ist seinDiktum: «Am Anfang war das Wort und es wird auch am Ende sein.» Anein persönliches Glück glaubte der Melancholiker Benn dagegen nicht,geschweige denn an einen Sinn der Geschichte.

Nur einmal - 1933 - ließ sich Benn zu einer gegenteiligenAuffassung hinreißen und bereute es ein Jahr später bitter: Im«Dritten Reich» sah er zunächst den Aufbruch in ein Zeitalter, in demsich endlich das Elementare wieder Bahn bricht. Benn war nicht nurein stiller Sympathisant, sondern unterstützte vor allem durchRadioessays die Politik Hitlers tatkräftig.

Dennoch hält Wolfgang Emmerich in seiner kurzen, aberkenntnisreichen Benn-Biografie den Dichter selbst in der Zeitspanne1933/34 nicht für einen genuinen Nationalsozialisten und zwardeshalb, weil dieser nie Antisemit gewesen sei. Näher läge esdagegen, so Emmerich, ihn einen Faschisten zu nennen: Seinantibürgerliches und antikapitalistisches Ressentiment habe Benn dazuverleitet, einen autoritären Staat und sogar terroristische Gewalt zubejahen.

Nichts Faschistisches hat dagegen der Schriftsteller AlfredAndersch zumindest in der Dichtung Benns erblickt, weil in dieser die«abgründige Menschenverachtung», die den Faschismus kennzeichne,vollständig fehle. Und Andersch fährt fort: «Benn kann gar nicht inVerachtung abgleiten, denn seine Beziehung zur Welt außer ihm ist diedes Leidens.»

Nach seinem politischen Fehltritt gab Benn, der einemilitärärztliche Ausbildung erhalten hatte, 1935 seine private Praxisfür Haut- und Geschlechtskrankheiten auf und kehrte zur Armee zurück- für ihn war dies «die aristokratische Form der Emigration». 1938erhielt er Schreibverbot, unter anderem deshalb, weil er 1933 diemoderne Kunst, die die Nazis als «entartet» brandmarkten, verteidigthatte.

Benn schrieb dennoch weiter. Doch seine Lyrik gewinnt nun eineandere Gestalt: Der kämpferisch-stählerne Ton seinerpropagandistischen Essays schlägt in sein Gegenteil um. Auch derdionysische Wunsch nach der Auflösung des «Hirnpanzers» und demZerfließen der Dinge, der seine frühe Lyrik und Prosa prägt, findetsich nun nicht mehr. Benns Ideal ist nunmehr die strenge, aberberuhigte Form, die jede Bewegung, jede Veränderung in sich tilgt.

1948 wurden diese Poeme unter dem Titel «Statische Gedichte»zunächst in der Schweiz und ein Jahr später auch in Deutschlandveröffentlicht. Damit nahm Benns Comeback als Dichter seinen Lauf undder, der die meiste Zeit seines Lebens im Verborgenen gelebt hatte,gewann öffentlichen Ruhm: 1951 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preisausgezeichnet.

Unter den Büchern, die zum 50. Todestag Benns erschienen sind,ragt der Band «Der Sound der Väter» von Helmut Lethen heraus. DerRostocker Literaturwissenschaftler zeichnet darin erhellend Benns Wegvon seiner provokanten frühen Poesie bis zu dem umgänglichen Tonseiner späten «Parlando-Lyrik» nach.

Gunnar Decker sieht in seinem Buch «Gottfried Benn - Genie undBarbar» den Dichter vor allem unter dem Blickwinkel der Ambivalenzund des Zwielichts. Benn selbst hat diese Deutung durch den Titelseiner Autobiografie «Doppelleben» nahe gelegt.

Zu dieser Ambivalenz gehört, dass Benn, dessen Dichtung oft eineschneidende Kälte attestiert wird, auch zarte Saiten anschlagenkonnte: «Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, /woher das Sanfte und das Gute kommt, / weiß es auch heute nicht undmuß nun gehn.»

Gunnar Decker: Gottfried Benn - Genie und Barbar
               Aufbau Verlag, Berlin
               544 S., Euro 26,90
               ISBN 3-351-02632-3

Wolfgang Emmerich: Gottfried Benn
                   Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek
                   159 S., Euro 8,50
                   ISBN 3-499-50681-5

Helmut Lethen: Der Sound der Väter
               Rowohlt Berlin Verlag, Berlin
            318 S., Euro 22,90
               ISBN 3-87134-544-X