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Goethe-Schiller-Archiv in Weimar Goethe-Schiller-Archiv in Weimar: Ferne Geister versammeln

Von kai agthe 31.07.2015, 05:27
Blick in den Mittelsaal des Goethe-Schiller-Archivs, in dem die Autographen Goethes zu sehen sind.
Blick in den Mittelsaal des Goethe-Schiller-Archivs, in dem die Autographen Goethes zu sehen sind. dpa Lizenz

weimar - Goethe war ein leidenschaftlicher Sammler mit vielerlei Interessen. In seinem Haus am Weimarer Frauenplan trug er in großer Zahl Kunstwerke und Bücher, Mineralien und Münzen zusammen. Weniger bekannt ist, dass zu den Dingen, die der Dichter mit großem Eifer hortete, auch Handschriften von berühmten Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart, sogenannte Autographen, gehörten. Den Entschluss, eigenhändige Zeugnisse „denkwürdiger Personen“ zu sammeln, fasste der Dichter im Jahr 1804. Sein damit verbundenes Ansinnen war es, „mit den Sternen mancherlei Größe näher bekannt zu werden“. Mehr als 2 000 handschriftliche Zeugnisse von 1 500 Personen sind überliefert.

Eine kleine Auswahl aus der stattlichen Autographen-Kollektion ist unter dem Titel „Von Kant bis Unbekannt“ derzeit im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar zu sehen. Zu den Originalen gibt es jeweils die Transkription des Textes sowie erklärende Informationen.

Gegen die Vergesslichkeit

Ein Blatt von der Hand Immanuel Kants (1724-1804) eröffnet den Reigen. Es ist dem sogenannten „Mittagsbüchlein“ (1802/03) des Königsberger Philosophen entnommen, in dem er die Namen der Gäste, die Gesprächsthemen und die Speisen jener legendären Mittagsgesellschaften auflistete, zu denen er regelmäßig in sein Haus einlud. Das Notizbuch führte der Verfasser von Werken wie „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) und „Kritik der Urteilskraft“ (1790) aber nicht für die Nachwelt, sondern allein wegen seiner sich im Alter verstärkenden Vergesslichkeit. Das Kant-Blatt war ein Geschenk, das Wilhelm von Humboldt dem Weimarer zu Weihnachten 1809 machte. Humboldt wiederum hatte es von einem Vertrauten Kants, dem Arzt William Motherby, erhalten.

Viele Autographen kamen auf verschlungenen Wegen in Goethes Sammlung. So manche Handschrift wurde aber direkt zugestellt. Etwa das Schreiben, das Franz Anton Edler von Zeiller am 31. Oktober 1811 in Wien aufsetzte. Der Rechtsgelehrte war weder ein Freund des Autographen-Sammelns noch der Graphologie - also der Lehre von der Handschrift als Ausdruck des menschlichen Charakters -, mit der Goethe sympathisierte. Entsprechend humoristisch ist Zeillers Brief ausgefallen: „Ich wünsche, dass von meiner unregelmäßigen Handschrift nicht auf meinen Kopf geschlossen werde“, notierte der Wiener Jurist. Der zur Sammlung gehörende englische Schiffspass, der 1806 für das deutsche Schiff „Goede Hoop“ (Gute Hoffnung) ausgestellt wurde, ist kein Indiz, dass der Dichter ein Freund der Seefahrt gewesen wäre. Interessant für Goethe war das Papier, in welchem dem Segler freies Geleit auf der Fahrt von London nach Bremen zugesichert wird, weil es von Georg III. (1738-1820), König von Großbritannien und Irland, unterzeichnet wurde. Die kindlichen Krakel lassen erkennen, dass zu dieser Zeit die psychische Erkrankung des Monarchen bereits weit fortgeschritten war.

Scott als Goethe-Bewunderer

Große Freude spricht aus einem Brief, den der schottische Schriftsteller Walter Scott (1771-1832), Verfasser des Romans „Ivanhoe“, am 9. Juli 1827 in Edinburgh an Goethe schrieb. Er erwiderte damit eine Epistel, die Goethe an ihn gerichtet hatte. Scott bekennt, dass er seit 1798 „ein fortwährender Bewunderer“ des deutschen Kollegen sei. Das bekundete sich bereits 1799, als Scott – trotz mangelnder Beherrschung der deutschen Sprache – die erste englische Übersetzung von Goethes Drama „Götz von Berlichingen“ vorlegte. Bis der Adressat den Inhalt zur Kenntnis nehmen konnte, dauerte es eine Weile: Scotts Handschrift ist so eigenwillig, dass der getreue Eckermann, Goethes rechte Hand, das englische Original erst mühevoll tran-skribieren musste, ehe er den Brief übersetzen konnte. Die Schau trägt nicht von ungefähr den Titel „Von Kant bis Unbekannt“. Unbekannte, also namentlich nicht zuordenbare Autographen gibt es einige in Goethes Sammlung. Doch in einem Fall konnte das Geheimnis eines bislang nicht identifizierten Dokuments gelüftet werden. Dem Fragment eines Briefes hat Kuratorin Evelyn Liepsch nach akribischer Recherche Absender und Adressaten zuweisen können: Bei dem Blatt handelt es sich um ein Schreiben, das Ernst Theodor Langer, Lessings Nachfolger als Oberaufseher der Bibliothek in Wolfenbüttel, an Christian Wilhelm Wolf, dem zweiten Bibliothekar der Universitätsbibliothek Halle, richtete. Letzterer dürfte das Schreiben an Goethe weitergeleitet haben, da Wolf seit 1795 mit dem Dichter korrespondierte und ihn auch bei der Erweiterung der Autographen-Sammlung unterstützte.

Auch dank der Hilfe konnte Goethe seinem ihm „unwiderstehlich innewohnenden Schauensdrang“ folgen und „die Geister der Entfernten und Abgeschiedenen hervorrufen und um mich versammeln“.

Goethe-Schiller-Archiv Weimar, bis zum 18. Oktober, Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-16 Uhr, Eintritt frei (mz)