Gisela Oechelhaeuser Gisela Oechelhaeuser: Spitze Zunge und Gedächtnislücken
Berlin/dpa. - Die Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser war als «Distel»-Chefin eine anerkannte Größe des DDR-Kabaretts. Auch nachdem Ende ihres Staates verstand sie es, das Kabarett am BerlinerBahnhof Friedrichstraße mit einer geschickten Mischung aus Ostalgieund Verballhornung der neuen Zeit über die Runden zu retten und sogarneuen Zulauf vor allem aus dem Westen zu sichern. Aber dann holtensie plötzlich Erinnerungslücken ein, für ihre Kollegen brach eineWelt zusammen, als sie erfahren mussten, dass ihre Chefin eineVerpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasiunterschrieben hatte. Sie wollten mit ihr zusammen nicht mehr auf derBühne stehen.
Für die heute 62-Jährige begann die wohl schwerste Zeit ihresLebens, als sie Abschied von ihrer geliebten «Distel» nehmen mussteund ins Kreuzfeuer der Medien und enttäuschter Freunde geriet. Ihrganzes Leben sei doch eigentlich nicht mehr gültig, meinten einige zuihr, wie sich Oechelhaeuser in ihrem jetzt erschienenen Buch«Hiergeblieben! Leben in Geschichten» (Eulenspiegel Verlag Berlin)erinnert. «Es herrscht, speziell unter Kollegen und Konkurrenten,eine große Freude, wenn jemand stürzt, der bis zu diesem Zeitpunktfür sehr erfolgreich gehalten wurde.» Einige Menschen aus der sogenannten «guten Gesellschaft» äußerten sogar «die klare Erwartung,ich solle mich umbringen oder mich irgendwo verstecken».
Auch um Ratschläge oder Kommentare musste sie sich nicht sorgen:«Mit dem IM ist es wie mit dem Fußball. Wir sind ein Volk vonSachverständigen.» Allerdings schwankt Oechelhaeuser auch zwischenZerknirschung, Relativierung und Selbstrechtfertigung. «Wie viel oderwie wenig ist über einen Menschen ausgesagt, der eine Unterschriftals IM geleistet hat?» Sie habe diese Unterschrift auch verdrängtgehabt, räumt sie ein.
«Es brauchte viele Monate professioneller Hilfe, mich an dieUmstände und die Gründe der Verdrängung zu erinnern.» Aber: «Soll ichsagen "ich schäme mich"? Dann müsste mir irgend jemand endlich sagen,wofür!...Ich schäme mich für vieles in meinem Leben. Dafür nicht!»Dabei beruft sich die Kabarettistin ziemlich gewagt sogar auf dasGrundgesetz: «Niemand darf wegen...seiner Herkunft...benachteiligtoder bevorzugt werden.»
Allerdings hat sie auch dazu gelernt, wie die Kabarettistin sagt,für die es als überzeugte Kommunistin in der DDR auch unstrittig war,dass es «das Recht von Staat und Partei» gewesen sei, «sich in jedenkünstlerischen Schaffensprozess einzumischen». Heute resümiert sie:«Ich verstehe jetzt, dass Intellektuelle und Künstler sich von derMacht fern halten müssen, um ihren ureigenen Platz nicht leichtfertigaufzugeben.»
Sie werde sich jedenfalls «nicht mehr vereinnahmen lassen, um aufKommando und nach Bedarf als "Rädchen und Schräubchen" in einemApparat zu funktionieren». Ihr Buch ist ein Rückblick auf eine DDR-Künstlerkarriere voller Selbstironie und Galgenhumor mit vielenEinblicken, Anekdoten und bissigen Anmerkungen nach Ost und West,aber auch die Geschichte einer bitteren Erfahrung und Lebensbilanz.
Gisela Oechelhaeuser: Hiergeblieben! Leben in Geschichten Eulenspiegel Verlag, Berlin 190 S., Euro 14,90 ISBN 3-359-01630-0