Gewandhaus Leipzig Gewandhaus Leipzig: Klang der Streicher schimmert wie Seide
Leipzig/MZ. - Das wird in Leipzig erwartet. Zwischen den Kulturtempeln herrschte am Wochenende Volksfeststimmung: Bühnen, Bier und Bilder von der Großleinwand, dazu Lautsprecher, die Bach, Beats oder eine sonore italienische Männerstimme über den Platz schickten. Die gehört, man ahnt es, Riccardo Chailly, den Plakate wie einen König willkommen heißen. Der Weltstar revanchierte sich gebührend: mit zwei Konzerten und einem Verdi-Wagner-Open-Air, das gestern den Begeisterungspegel eines Popkonzerts mühelos erreichte.
Dass solch ein Event für Chailly nicht Pflicht, sondern Vergnügen ist, legt sein sinnlicher, körperlicher Umgang mit Musik nahe. "Meister, Sie schwitzen ja so", hatte ein Gewandhausmusiker zur Probe besorgt ausgerufen. "Ja, aber ich tue es mit Freude", entgegnete der gebürtige Mailänder.
Chailly gibt sich populär, doch er ist kein Populist. Die traditionellen Vorlieben des Gewandhausorchesters, also Beethoven, Brahms, Bruckner und Strauss, wird er nicht verachten, dabei aber viel Unbekanntes und Neues bieten. Auch dass mit Wolfgang Rihm der zurzeit bekannteste deutsche Komponist beim Festakt im Alten Rathaus die Laudatio hielt und eine Uraufführung zum Konzert beisteuerte, spricht für sich.
Er rückte klug den Begriff der "Tradition" zurecht, von dem mit Blick auf die Ahnengalerie der Gewandhauskapellmeister allenthalben die Rede war. "Tradition bedeutet doch, schöpferisch umzugehen mit dem, was die Vergangenheit hergibt", sagte Rihm.
Er meinte damit sich selbst ebenso wie Chailly, der zwei Vorgängern die Reverenz erwies: Mendelssohn, "ohne den Leipzigs Musikleben heute ein anderes wäre", und Herbert Blomstedt, der dem Orchester wieder Disziplin und Durchsichtigkeit anerzogen hat. Was das Gewandhausorchester heute zu leisten imstande ist, war am Freitag zu hören: Von fabelhafter Transparenz ist sein Klang, die Streicher schimmern wie feinste Seide, die Holzbläser leuchten warm. Weil er darauf aufbauen kann, ist Riccardo Chailly der richtige Mann zur richtigen Zeit. Lustvoll konnte er die Theatralik von Mendelssohns "Sommernachtstraum"-Ouvertüre auskosten und durfte ohne Reue große Gesten pflegen - um im nächsten Augenblick das feinste Piano zu fordern.
So kam die Musik auf wunderbare Weise in Fluss, die langsamen Abschnitte in Mendelssohns Lobgesang-Sinfonie waren herrlichster Gesang - auch wenn die mächtigen Chöre von Opernhaus und Gewandhaus oder das exzellente Solistentrio gerade nicht sangen.
Das Publikum mit kühler Analyse durchzurütteln ist Chaillys Sache nicht: Er zaubert lieber, betört und verführt. Auch in der Uraufführung von Wolfgang Rihms Orchesterwerk "Verwandlung 2" war das so: Eine eigenartig heterogene Studie, bei der das Pendel zwischen Ruhe und Spannung weit ausschlägt, die Klangfarben und Möglichkeiten eines Orchesters auslotet und mit Traditionen spielt.
Am Ende - wen wundert es - war nur noch Jubel. Der Alltag beginnt zwar heute, aber wenn alles gut geht, wird er ein langes Fest.