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Gewandhaus Leipzig Gewandhaus Leipzig: Ein gefeiertes Klavier-Feuerwerk

Von UTE VAN DER SANDEN 29.03.2010, 17:07

LEIPZIG/MZ. - Da im Gedenkjahr von Klavierkomponisten wie Schumann und Chopin freilich kein Pianist ohne deren Werke in Leipzig an- und aufzutreten wagt, komplettierte Perahia die sechste Partita von Bach und das erste Stück der finalen Sonaten-Trias Beethovens mit Schumanns "Kinderszenen" und einer kleinen feinen Chopin-Melange - ein elegant gebautes, stimmiges Programm. Und mit Sicherheit eines der am besten ausgeführten in der Gewandhaus-Reihe mit hochkarätigen Klavierrezitals.

Er querte die Bühne, als bäte er um Verzeihung für sein Auftreten: gesenkter Kopf, hängende Arme, kein Lächeln. Sobald Murray Perahia aber die ersten Takte gespielt hatte, hielt der Saal den Atem an.

Sein Bach ist glasklar, loyal und von höchster Integrität. Die e-Moll-Partita, mit allen Wiederholungen vorgetragen, leuchtete von innen heraus, jede Stimme in einer eigenen Farbe. Wunderbar auch, wie sich das Vivace der Beethoven-Sonate durch die Tonarten probierte, wie der Variationssatz peu à peu losrollte - immer im vollen Bewusstsein, dass Beethovens Klaviermusik dann am expressivsten ist, wenn zwischen Diskant und Bass eine nur gehörte, nie gefühlte Leere klafft. Die allzu stringent durchgezogene Fuge tendierte zur oberflächlichen Glättung, wie sie am Ende nochmals, in Chopins E-Dur-Scherzo, spürbar sein würde. Dies und einige wenige Missgriffe, wie sie Menschen vorkommen müssen, außer Acht gelassen, gilt: Mehr kann kein Pianist wollen, als dass Klaviermusik nicht mehr an Tastenspiele denken, sondern reine Kunst nach Hegels sinnlichem "Scheinen der Idee" empfinden lässt, als dass sie auf einem Niveau weit oberhalb ihrer praktischen Erzeugung erfahrbar wird.

So gesehen, tönten auch Perahias "Kinderszenen" - unprätentiös, aber hoch intensiv im Klang, und überraschend virtuos aufgefasst - als reinste Liebeserklärung an das Instrument und die Musik. Drei Chopin-Mazurken legte der Interpret als sehnsüchtige Reverenzen an ihr Ursprungsland aus, entlockte ihnen bizarre Klang- und Harmoniewendungen. Sein organisches, fließendes Chopin-Spiel, das jede Phrase aus der vorhergegangenen motiviert, ist ein Ereignis für sich.

Zum Dank für stürmische Ovationen - Perahia wurde in Leipzig regelrecht gefeiert - feuerte er seine Zugaben in den Saal: das Schubert-Impromptu in Es wie eine schillernde Silvesterrakete, die kraftintensive vierte Chopin-Etüde des ersten Bandes in brillanter Virtuosen-Pose und ohne eine Spur der Erschöpfung. Die Bravorufe gingen in Schreie über und der Meister endgültig ab.

"Wie schön", sagte im Fortgehen eine Dame zur jungen Familie, "dass Sie Ihre Kinder mitbringen. Das war Musik." War es!