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Gesellschaft Gesellschaft: Die Erfindung der deutschen Fußgängerzone

14.08.2009, 15:21

Halle/MZ. - "Es kann kein Zufall sein, dass die Idee - und es war eine! - von Deutschland ausging, einem Land, das so viel Substanz in den Altstädten eingebüßt hatte, dass es fürchten musste, man könne die Altstadt überhaupt verlieren, ihre Attraktion, ihre Dichte, das Geschichtsgefühl. Das Gefühl für eine amputierte Geschichte."

Also begann man von Kiel aus, einen Teil der historischen Stadtzentren Deutschlands für den Autoverkehr lahmzulegen. Nicht zuletzt mit der Wirkung, dass der Eindruck entsteht, dass die Städte jeweils ein Geheimnis bewahren würden, das dem Durchfahrenden verborgen blieb: ihre Mitte.

"Rotz des Wohlstands" heißt Ulf Erdmann Zieglers Essay, der für die "Abschaffung der Fußgängerzone" wirbt. Warum? Nach 50 Jahren Stadtplanerei zeige sich, dass städtische Lebensräume dort am besten gedeihen, wo weder Verkehrs-, Verkaufs- noch Weltanschauungslenker in die Gestaltung der Städte eingreifen. Blühende Ränder, tote Mitte: Man kennt das ja. Aber in einer solchen These erschöpft sich Zieglers Essayistik nicht. Von der Fußgängerzone aus beobachtet er das Verhalten der Menschen in den Städten. Und die Moden, denen ihre Bewegungen unterworfen sind: Wie orientierungslos man heute - das Handy am Ohr - Straßen überquert. "Nicht zu wissen, wo man sich befindet, gilt in der Mobilfunkgesellschaft als sexy."

"Gedankenklötze" nennt der 1959 in Frankfurt am Main geborene Erzähler ("Hamburger Hochbahn") seine durch die städtische Gegenwart Amerikas, Deutschlands und Englands streifenden Aufsätze, verfasst auf der "Wippe zwischen Ästhetik und Gesellschaft". Moderne, Sexualität und Rock'n'Roll, deren Bedrohungen Terror, Bürokratie, Ängstlichkeit. Was da gelungen ist: ein literarisch-essayistisches Textwerk, das in seiner kulturkritischen Klugheit und Eleganz hierzulande vergeblich seinesgleichen sucht.