Geschichte Geschichte: Wie BAP 1989 in Russland die DDR-Tour «nachholte»
Moskau/dpa. - Nun tratdie Gruppe als eine der ersten westdeutschen Bands in der Sowjetunionauf, und viele Zuschauer hatten vor Zungenbrecherzeilen wie «Em Ähnzfür jet wie e Jenie» («Im Ernst für sowas wie ein Genie») keineScheu. «Irgendwann fiel bei uns der Groschen», sagt BAP-SängerWolfgang Niedecken (58) heute über die Ereignisse vom Mai 1989. «Wirwaren in der DDR verboten, darum fuhren viele Ostdeutsche nachMoskau, um uns zu hören. Das hat uns sehr berührt.»
Nach ihrem Durchbruch mit dem Lied «Verdamp lang her» warursprünglich eine DDR-Tournee von BAP 1984 geplant, zu der es abernie kam. Die Kölner reisten am Vorabend des ersten Konzerts inOstberlin aus Protest ab, nachdem die DDR-Führung von ihnen verlangthatte, auf pazifistische Texte wie «Macht eine SS 20 zu einem Traktorund eine Pershing zu einer Lok» zu verzichten.
Schon kurz zuvor hatte das DDR-Fernsehen Kommentare von Niedeckenüber die Friedensbewegung schlicht herausgeschnitten. «Die Atmosphäreim Studio damals war wie in einem Orwell-Roman», erinnert sichNiedecken in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.«Niemand traute sich, einem in die Augen zu schauen oder Klartext zureden. Ein paar Jahre später kamen wir nach Moskau, und da wurde aufeinmal gelacht und gefeiert. In der UdSSR trafst du Menschen, dieoffenbar keine Angst hatten.»
Auch infolge der Reformen unter Staatschef Michail Gorbatschow warBAP vor genau 20 Jahren zu je drei Konzerten in Moskau und Wolgograd eingeladen worden. «Russland ist ja für unsere Generation immerverbunden mit dem Kriegserlebnis unserer Väter», sagt der 1951geborene Niedecken. Vor allem die Auftritte in Wolgograd hätten ihnberührt. «Der ehemalige Stadtname Stalingrad steht auch 65 Jahrespäter noch für etwas.» Besonders viel habe er über das Land abernicht gewusst, räumt der Musiker ein. «Ich habe auch Autoren wieDostojewski nie wirklich durchgehalten. Wegen der komplizierten Namenimmer wieder zehn Seiten zurückzublättern, macht mich meschugge.»
Sympathie mit kommunistischen Ideen hatte Niedecken schon alsKunst-Student nicht verspürt. «Andere haben mich zwar bequatscht ohneUnterlass, aber Kunst hat mit Gefühlen zu tun, nicht mit derIllustrierung von Parteitagsbeschlüssen. Das war nicht mein Ding.»Bei ihrer UdSSR-Tour waren die Kölner hingegen von der Herzlichkeitvieler Russen begeistert. «Wir hatten im Westen wohl mitbekommen,dass Gorbatschow diese verkrampften Zustände ändern wollte. Aber überdie DDR hörte ich immer nur, wie die Leute mit allen Mittelnkleingehalten wurden. Der Zustand dort war versteinert. Was sich inMoskau und Wolgograd abspielte, schien uns in der DDR unvorstellbar.»
Im Gorki-Park suchten zahlreiche Ostdeutsche nach dem KonzertKontakt zu den Musikern. «Da haben viele unter großem Risiko mit unsgesprochen. Oliver aus Ostberlin, mit dem ich noch heute Kontakthabe, hat damals in Moskau studiert. Der wusste, dass er seinenAbschluss vergessen kann, wenn das rauskommt.» Ein andererOstdeutscher, den er 1989 traf, habe ihn gleich in Köln besucht,nachdem wenige Monate später die Mauer zwischen beiden deutschenStaaten gefallen war. «Aber der Zweifel nagte doch an mir, ob diedamals nicht auf mich angesetzt waren. Nach dem Studium meiner Stasi-Akten war ich froh, dass die sauber sind.»
Wenn er heute an Russland denke, habe er immer noch die Tour von1989 vor Augen. Die damaligen Konzerte blieben bis heute die einzigenAuftritte der Gruppe in Russland. «Im mittlerweile abgerissenen HotelRossija saßen damals auf jeder Etage ältere Frauen, bei denen duhartgekochte Eier und Tee holen konntest.» Er denke bei Russland aberauch an die Kriege in der Teilrepublik Tschetschenien «und dieBrutalität, mit der man in diesem Riesenreich offenbar bereit ist,gegen Menschen vorzugehen», sagt der Musiker. «Da liegen ja nur 20Jahre zwischen damals, als wir zum Rocken nach Russland gefahrensind, und heute, wo man bei manchen Nachrichten aus Moskau die Luftanhält. Eigentlich erschreckend, dass das so gekommen ist.»