Geschichte Geschichte: Trinkkultur in der DDR

Berlin/dpa. - Geburtstag, Feiertag, Urlaubsanfang oder -ende,eine Prämie oder einfach Feierabend: der DDR-Bürger fand immer eineGelegenheit zum «Prosten». Der Berliner Ethnologe Thomas Kochan willhier endlich mit Vorurteilen aufräumen. Vor allem im Westen kursiertseiner Ansicht nach eine abenteuerliche Mär über das Saufvergnügenseiner Landsleute: Da ist die Rede vom exzessiven Picheln mit dendazugehörigen Auswirkungen, für die es nur Abscheu gab. Kochanwidmete sich in einer Doktorarbeit dem Thema und wurde dabei von derBundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt.
Ein gefülltes Glas mit Hochprozentigem gehörte zum guten Ton. Esgalt nicht als verwerflich, in fröhlicher Runde während der Arbeitoder danach das eine oder andere Glas zu leeren. Gebechert wurdeauch im privaten Kreis. «Es war eine alkoholzentrierte Gesellschaft.Alkohol spielte eine große Rolle. Rausch war aber nicht das Ziel»,sagt Kochan, dessen Untersuchung jetzt im Aufbau-Verlagveröffentlicht wurde.
«Es gibt keine Belege, dass getrunken wurde, um dem Alltag zuentfliehen», sagt der 42-Jährige. Auch sei der Verbrauch nicht angekurbelt worden, um Fünfjahrespläne zu erfüllen. Aber: 1988 trankjeder DDR-Bürger im Durchschnitt 142 Liter Bier, 12,1 Liter Wein undSekt. «Ob Säugling oder Hochbetagter: Jeder leerte 23 FlaschenHochprozentiges im Jahr», erläutert Kochan die Statistik. Das warzweieinhalbmal so viel wie im Westen. 1987 eroberten sich dieOstdeutschen vor Ungarn und Polen den Spitzenplatz beimSpirituosenkonsum. Mittlerweile ist der Pegelstand gesunken undliegt bei etwa 5,9 Liter Alkohol wie im Westen.
Dem Alkoholmissbrauch wurde zu DDR-Zeiten nicht tatenloszugesehen, Alkoholismus und Sucht hingegen tabuisiert.Zwar ließsich gutes Geld mit Hochprozentigem verdienen, doch um denSozialismus aufzubauen brauchte man klare Köpfe. Mit Arbeitern, dienoch benebelt einen «Kater» zum Dienst schleppten, war kein Staat zumachen. «Ab Ende der 1960er Jahre wirkte Alkohol nicht mehrstrafmildernd vor Gericht», erzählt der Wissenschaftler. ImStraßenverkehr galt die Null-Promille-Regelung.
Kochan, der in Berlin ein Geschäft für Spirtuosen betreibt,berichtet von erfolglosen Bemühungen für mehr Kultur beim Trinken.Verräucherte Eckkneipen mit dem Standardangebot einer «Lage» - einBier und Korn - sollten verschwinden. Stilvoll schien dagegen, amGlas Wein zu nippen - in Klubgasttätten in den Neubauvierteln inBerlin-Marzahn, Leipzig-Grünau oder anderswo.
Skurril fand Kochan eine besonderer Methode zum Abnehmen, bei derSchnaps eine tragende Rolle spielte: die «Wodka-Bockwurst-Diät».Über den Erfolg der Fastenkur liegen ihm keine Berichte vor, wie erbeteuert. Auch nicht, ob dabei 40-prozentiger Klarer getrunkenwurde, der wegen der Farbe des Etiketts auch «Blauer Würger» imVolksmund hieß. Die DDR-Band «Amor & Die Kids» setzten dem Schnapsein Denkmal mit einem Song. Sie beschreiben seinen Effekt mit denZeilen: «Blauer Würger, Blauer Würger/Da klatscht die Leber in dieHände».
