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Geschichte Geschichte: Literaturzentrum bittet bespitzelte Autoren um Entschuldigung

01.12.2005, 10:42
Das Archivbild vom 18.02.1999 zeigt die Mitarbeiterin des Neubrandenburger Literaturzentrums Erika Becker mit einem Manuskript des Romans «Franziska Linkerhand» von Brigitte Reimann. (Foto: dpa)
Das Archivbild vom 18.02.1999 zeigt die Mitarbeiterin des Neubrandenburger Literaturzentrums Erika Becker mit einem Manuskript des Romans «Franziska Linkerhand» von Brigitte Reimann. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Neubrandenburg/dpa. - Das wegen Stasi-Verwicklungen kritisierteNeubrandenburger Literaturzentrum hat sich bei den zu DDR-Zeitenbespitzelten Autoren entschuldigt. Das sagte die amtierendeGeschäftsführerin Erika Becker bei der Vorstellung einer Studie zur Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit am Mittwochabendin Neubrandenburg. In dem 1971 gegründeten Zentrum werden unteranderem die Nachlässe von Brigitte Reimann (1933-1973) und HansFallada (1893-1947) betreut.

Drei Vorstandsmitglieder aus dem Trägerverein desLiteraturzentrums hatten die Studie erarbeitet. Dazu wurden zusammenmit der Birthler-Behörde rund 50 Aktenordner mit 3600 Seiten vonOpfer- und Täterakten durchforstet. Der Trägerverein war in Zugzwanggekommen, nachdem die Berliner Journalistin Christiane Baumann imSeptember eine erste Untersuchung vorgelegt hatte. Darin hatte siedem Zentrum zahlreiche Verwicklungen mit Überwachungen von Autorendurch den damaligen Leiter Tom Crepon und mangelnde Aufarbeitung derVergangenheit vorgeworfen worden.

Die neue Studie kommt zu dem Schluss, dass die Kulturszene massivdurch Funktionäre und Schriftsteller des DDR-Schriftstellerverbandes,den Kulturbehörden und Journalisten der SED-Zeitung «Freie Erde»bespitzelt wurden. So wurden 1981 etwa 60 Menschen von rund 75Informellem Mitarbeitern (IM) überwacht. Hauptverantwortlicher desZentrums sei Crepon als dessen Leiter bis 1985 gewesen. Er lebt jetztin Schleswig-Holstein. Zu den Opfern gehörten unter anderem BrigitteReimann, der Schriftsteller Rainer Prachtl, nach 1990 mehrere JahreCDU-Landtagspräsident, mehrere Autoren wie Peter Tille und UweSaeger.

Das Zentrum in Neubrandenburg war das erste seiner Art in der DDRund Vorbild für 14 weitere Zentren. Es sei nicht mit Hilfe der Stasigegründet worden, betonte Becker. Die Zentren sollten vor allem jungeAutoren im Sinne der herrschenden SED zu Schriftstellern formen undnicht parteikonforme Autoren abwehren. Nach der Wende 1990 wurdenalle Zentren bis das in Neubrandenburg geschlossen.

Zu den Stasi-Zuträgern gehörten laut Becker damals unter anderemdie Schriftsteller Günter Ebert und Joachim Wohlgemuth (1932-1996),dessen Nachlass auch im Brigitte-Reimann-Literaturhaus aufbewahrtwird. Nach 1985 rückte für Crepon Heide Hampel an die Spitze desZentrums. Aus dieser Zeit seien keine IM-Berichte aus demLiteraturzentrum bekannt, hieß es. Es gebe aber auch keineSicherheit, ob die Unterlagen der Birthler-Behörde noch vollständigseien. Hampel selbst bestreitet eine IM-Tätigkeit, trat aber nachErscheinen der Baumann-Studie von ihrem Amt zurück.

Eine umfassende Arbeit will das Literaturzentrum, das seit 1993von einem Verein getragen wird, 2006 zu seinem 35-jährigen Bestehenvorlegen. Zu einem öffentlichen Forum werden in diesem Zusammenhangam Freitag (02.12.) Baumann, der Bürgerrechtler Lutz Rathenow, derSchweriner Bildungsminister Hans-Robert Metelmann (parteilos)und derSchriftsteller Uwe Saeger in Neubrandenburg erwartet.