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Geschichte Geschichte: Legenden um Luthers Klostergang vor 500 Jahren

Von Marco Mierke 29.06.2005, 16:49
Den Kreuzgang im Augustinerkloster, bereits Mitte des 14. Jahrhunderts errichtet, betrachtet ein Besucher am Dienstag (28.06.2005) in Erfurt. Seine besondere Bedeutung bekam das Augustinerkloster durch Martin Luther, der hier von 1505 bis 1511 als Mönch lebte. (Foto: dpa)
Den Kreuzgang im Augustinerkloster, bereits Mitte des 14. Jahrhunderts errichtet, betrachtet ein Besucher am Dienstag (28.06.2005) in Erfurt. Seine besondere Bedeutung bekam das Augustinerkloster durch Martin Luther, der hier von 1505 bis 1511 als Mönch lebte. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Erfurt/dpa. - Exakt 500 Jahre später ist der«Blitzschlag von Stotternheim» Anlass für zahlreiche Jubiläumsfeiern.Möglicherweise zu Unrecht: Dass bei Luthers Entscheidung, Mönch zuwerden, ein Gewitter eine Rolle spielte, ist sehr umstritten.

Was die Stotternheimer dieser Tage in Aufregung versetzt und zueinem aufwendigen Festprogramm wie auch zum kostspieligen Ausbau desDenkmals um den Lutherstein führt, verweisen Experten ins Reich derLegenden. Wie Luthers Thesenanschlag an die Tür der Schlosskirche inWittenberg oder sein Wurf mit dem Tintenfass nach dem Teufel in derWartburg ist auch die Geschichte des Blitzschlags mehr Dichtung alsWahrheit, sagt Volkmar Joestel von der Stiftung Luthergedenkstättenin Sachsen-Anhalt. «Es ist schier unglaubhaft, dass ein einzigesGewitter einen 22-jährigen Mann so ängstigt, dass dieser ein Gelübdeablegt», so der Historiker.

Argumente für seine Einschätzung hat Joestel nach eigenen Angabenin vielen Quellen gefunden. So habe Luther selbst erst 34 Jahre nachdem angeblichen Ereignis von einem Blitzschlag geredet. «Und dieseÄußerungen sind nur in Tischreden überliefert, deren Quellenwert mitVorsicht zu genießen ist.» Selbst Luthers Weggefährte Justus Jonashabe die Blitzschlag-Episode damals als Mischung aus Wahrheit undLegende bezeichnet. «Auch der Lutherfreund Melanchthon berichteteüber den Klostereintritt, ohne ein Gewitter oder einen Blitzschlag zuerwähnen», sagt Joestel.

Ähnlich skeptisch äußert sich der Thüringische LandesbischofChristoph Kähler: «Wir haben ein Symbol vor uns. Ein Bild, das einenentscheidenden Punkt in Luthers Biografie markiert. Das ist wie beialten Heiligenlegenden». Auch der Wittenberger Theologe FriedrichSchorlemmer will nicht ausschließen, dass es sich um eine Sagehandelt. «Bei der Überlieferung großer geschichtlicher Ereignisse istes normal, dass Fakten erfunden sind, die Sache an sich aber stimmt.»Die Nachkommen Luthers zeigen sich ebenfalls nicht vollkommen sicher:«Wir gehen davon aus, dass der Blitz tatsächlich eingeschlagen hat»,sagt der Lutheriden-Vorsitzende Werner Sartorius, «aber beweisen kannman das nicht.»

Der Blitzschlag rankt sich nicht als einziges Gerücht um denEintritt Luthers ins Erfurter Augustiner-Kloster fünfzehn Tage nachdem vermeintlichen Gewitter. So wird laut Joestel kolportiert, dassLuther vor einer ungeliebten Frau flüchtete. In einer Schrift von1521 werfe Luther dem Vater vor, geplant zu haben, ihn der Karrierehalber standesgemäß verheiraten. Andere Forscher sprächen von einemMord Luthers an einen Widersacher. Skrupel über diese Tat hätten ihnins Kloster getrieben. «Wo es an Quellen mangelt, sind der Fantasiekeine Grenzen gesetzt», sagt Joestel.

Der wahre Grund lässt sich laut Joestel kaum noch rekonstruieren.Statt Angst vor dem Unwetter sei Luthers Angst vor dem Tod alsAuslöser wahrscheinlicher gewesen, immerhin habe die Pest mehrereDozenten und Studenten an seiner Universität getötet. «Aber völligegal, was passiert ist - es war eine der folgenschwersten Bekehrungenin der Kirchengeschichte», sagt Joestel. «Ohne die Entscheidunghätten wir nicht den Theologen Luther. Und deshalb feiern wir sie»,bekräftigt Kähler.

Daher wollen sich die Stotternheimer das Feiern nicht nehmenlassen. «Es wäre natürlich schön, wenn die Geschichte wirklichstimmt. Aber so oder so verbindet sie unsere Gemeinde mit Luther,deshalb ist das Jubiläum für uns ein ganz großes Ereignis», sagt derStotternheimer Ortsbürgermeister Gerhard Schmook und stellt klar:«Wir glauben daran!»